Auch wenn wir es nicht wirklich bemerken oder greifen können, arbeitet unser Gehirn ständig. Um die komplexen Aufgaben, die unser Gehirn täglich bewältigt, zu verstehen, muss man sich mit den Grundlagen der neuronalen Signalverarbeitung befassen. Vor allem für angehende Mediziner ist es von großer Wichtigkeit, die grundlegenden Mechanismen zu verstehen, um so Krankheiten verstehen und Therapieansätze entwickeln zu können.
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LTP

CC BY SA 3.0


Synaptische Plastizität: Bahnung, Depression

Der Begriff der neuronalen Plastizität bezeichnet den Umbau neuronaler Strukturen in Abhängigkeit ihrer Verwendung und kann so die Funktionen des Nervensystems anpassen oder sogar erweitern. Wichtig ist die neuronale Plastizität für Lernprozesse und als Reaktion auf Verletzungen des neuronalen Gewebes. Die synaptische Plastizität bezeichnet den Um- und Neubau von Synapsen.

Die Anzahl von Neuronen in unserem Körper erreicht bereits vor der Geburt ihr Maximum und nimmt im Laufe unseres Lebens kontinuierlich ab. Ausnahme sind beim Menschen der Bulbus olfactorius und der Gyrus dentatus des Hippocampus, wo Neurogenese möglich ist. Das genaue Gegenteil gilt jedoch für die Anzahl der Synapsen.

Im ZNS des Menschen existieren etwa 1014 solcher Verbindungen, deren Großteil sich in den ersten Lebensjahren bildet. Die Neubildungsfähigkeit bleibt jedoch das gesamte Leben lang erhalten. So ist jeder Lernvorgang mit einer Neubildung oder funktionellen Veränderung von synaptischen Verbindungen assoziiert. Jedoch ist diese Fähigkeit nicht in jedem Teil des ZNS und zu jeder Lebensphase gleich, manche Hirnregionen verlieren ihre Plastizität nach bestimmten Entwicklungsperioden.

Dies erklärt warum Kleinkinder manche Dinge viel schneller lernen als Erwachsene oder bestimmte Lernvorgänge bei ausgewachsenen Menschen überhaupt nicht mehr stattfinden können (z. B. kann die Sehrinde im Großhirn das Verarbeiten visueller Impulse nur in den ersten Lebensjahren erlernen).

Im Gebiet der synaptischen Plastizität unterscheidet man die funktionelle Plastizität von der strukturellen Plastizität. Erstere betrifft die Menge des freigesetzten Transmitters oder die Rezeptordichte auf der postsynaptischen Membran, damit wird also die Effizienz der synaptischen Übertragung verbessert. Letztere bezeichnet die Vergrößerung/Verkleinerung der synaptischen Kontaktfläche sowie den Auf-, Ab- oder Umbau von Synapsen. Es handelt sich also um anatomische Veränderungen von neuronalen Strukturen, so kommt es zu kollateralen oder terminalen Aussprossungen.

Entdeckt wurde die synaptische Plastizität von Donald O. Hebb, der im Jahr 1949 die Hebb’sche Lernregel formulierte. Sie besagt, dass es, wenn ein Axon der Zelle A Zelle B erregt und wiederholt und dauerhaft zur Entstehung von Aktionspotentialen in Zelle B beiträgt, zu Veränderungen in diesen Zellen kommt. Diese Veränderungen haben zur Folge, dass die Zelle A die Zelle B effizienter erregen und Aktionspotentiale hervorrufen kann.
Mechanismen, die im Rahmen der synaptischen Plastizität wichtig sind, sind Bahnung und Depression, die auch unter Kurzzeitplastizität zusammengefasst werden.

Die Hebbsche Lernregel:

\Delta w_{{ij}}=\eta \cdot a_{{i}}\cdot o_{{j}}

  • \Delta w_{{ij}}: Veränderung des Gewichtes von Neuron i zu Neuron j (also die Änderung der Verbindungsstärke dieser beiden Neuronen)
  • \eta : Lernrate (ein geeignet zu wählender konstanter Faktor)
  • a_{i}: Aktivierung von Neuron i
  • o_{j}: Ausgabe von Neuron j, das mit Neuron i verbunden ist.

Bahnung

Unter Bahnung versteht man in diesem Zusammenhang eine Sekunden bis Minuten anhaltende Verstärkung der Neurotransmission. Hierbei wird sowohl die Wahrscheinlichkeit der Transmitterfreisetzung, als auch Menge der freigesetzten Transmitterquanten beeinflusst. Ursache hierfür ist das Eintreffen von Aktionspotentialen mit hoher Frequenz an der Präsynapse, was zu einer Erhöhung des Calciumspiegels in der synaptischen Endigung führt.

Die Folge ist eine Steigerung der Transmitterfreisetzung pro Aktionspotential und damit eine homosynaptische Verstärkung erregender Aktionspotentiale. Es gibt auch heterosynaptisch wirksame Stoffe, die also auf andere Nervenzellen wirken. Ein Beispiel dafür ist die Förderung der GABA-Ausschüttung durch Dopamin in den Basalganglien.

Das Phänomen der Bahnung kann auch experimentell untersucht werden. Hierfür verwendet man entweder die Doppelpulsbahnung oder die tetanische Stimulation. In der kognitiven Psychologie ist zu beobachten, dass ein Wort schneller erkannt wird, wenn vorher ein inhaltlich bzw. semantisch verwandtes Wort gezeigt wurde. Diese assoziative Bahnung beruht vermutlich auf den oben erklärten Mechanismen.

Depression

Ein anderes Phänomen im Zusammenhang mit der synaptischen Plastizität ist das der Depression.  Hierunter versteht man die Erschöpfung des Calcium- oder Transmitterspiegels infolge einer Aktionspotentialserie in der Präsynapse. Die Folge ist in beiden Fällen eine abgeschwächte synaptische Übertragung.

Langzeitpotenzierung & Langzeitdepression

Bei der Langzeitpotenzierung (Long-term potentiation, kurz: LTP) bzw. Langzeitdepression (Long-term depression, kurz: LTD) handelt es sich um funktionelle Phänomene, die vermutlich eine Rolle bei Lernvorgängen spielen. Sie kommen durch wiederholte Erregungssalven an bestimmten glutamatergen Synapsen zustande. An ein und derselben Synapse kann, je nach Frequenz und Anzahl der vorausgegangenen Aktionspotentialserie sowohl LTD als auch LTP auftreten.

Langzeitpotenzierung

Die Folge der Langzeitpotenzierung ist, dass das Zielneuron nach solchen Impulssalven auf Einzelreize stärker reagiert als zuvor. Das sogenannte exzitatorische postsynaptische Potential, kurz EPSP, hat sich potenziert und ist folglich höher, damit ist die Zelle leichter erregbar. Die Langzeitpotenzierung kann Stunden bis Wochen anhalten.

Auf molekularer Ebene sind zwei verschiedene Arten von ionotropen Glutamatrezeptoren für die LTP wichtig. Zum einen der AMPA- und zum anderen der NMDA-Rezeptor. Bei einzelnen Aktionspotentialen reicht die ausgeschüttete Glutamatmenge nur aus, um die AMPA-Rezeptoren zu aktivieren, der Kationenkanal des NMDA-Rezeptors bleibt durch Mg2+-Ionen blockiert. Der so ermöglichte Na+-Einstrom erzeugt ein relativ schwaches EPSP.

Anhaltende Aktionspotentialserien haben eine stärke Glutamatausschüttung und damit eine stärkere Depolarisation der postsynaptischen Membran zur Folge. Bei gewisser Vordepolarisation geben die Mg2+-Ionen den NMDA-Rezeptor frei, durch dessen Kationenkanal nun der Einstrom von Ca2+-Ionen möglich ist. Das eingeströmte Calcium hat nun vielfältige Funktionen in der Zelle, die Gegenstand aktueller Forschungen sind.

Beispielsweise aktivieren die Ca2+-Ionen eine Ca2+-abhängige Kinase, die den AMPA-Rezeptor phosphoryliert und so dessen Ca2+-Durchlässigkeit steigert. Außerdem erhöht die auf diesem Weg aktivierte Kinase die Expression von AMPA-Rezeptoren auf der postsynaptischen Membran und macht die Zelle so für weitere synaptische Impulse empfindlicher. Hinzu kommt, dass in der Zielzelle vermehrt der second-messenger Stickstoffmonoxid (NO) gebildet wird.

LTP

Bild: “Langzeit-Potenzierung (LTP) ist eine dauerhafte Zunahme synaptischer Kopplung als Folge erhöhter Erregung. Studien zur LTP werden oft vorgenommen an histologischen Schnittpräparaten (brain slices) vom Hippocampus, einem wichtigen Organ für Lernen und Gedächtnis. In solchen Studien werden elektrische Aufzeichnungen von Nervenzellaktivität gemacht und in Diagrammen wie diesem dargestellt. Es vergleicht die Reaktion einer Nervenzelle nach LTP mit einer ohne LTP. Nach einer LTP ist an einer Synapse die Reaktion eine auf elektrische Erregung in der Regel dauerhaft stärker. X-Achse: Zeit in Minuten. Y-Achse: Anstieg des nachsynaptischen (hinter dem Spalt, beim Zielneuron) elektrischen Erregungspotentials in Millivolt pro Millisekunde (mV/ms).” von Synaptidude in der Wikipedia auf Englisch. Lizenz: CC BY SA 3.0

Dieser verstärkt in der präsynaptischen Endigung die Glutamatfreisetzung im Sinne einer positiven Rückkopplung.

Längerfristige Anpassungen gelingen über die Aktivierung einer Ca2+-abhängigen Adenylatzyklase, die durch Bildung von cAMP die Proteinkinase A (PKA) stimuliert. Am Ende dieser Kaskade steht die Aktivierung des cAMP-Response-Element-Binding-Proteins (CREB), das als Transkriptionsfaktor wirkt und die Expression einer Vielzahl von Proteinen, darunter Neurotransmitter, Zellmembranproteine und Wachstumsfaktoren, fördert

Langzeitdepression

Neben der Verstärkung von (wichtigen) synaptischen Übertragungen ist für das Lernen wohl in gleichem Maß auch die Depression von (unwichtigen) synaptischen Verschaltungen entscheidend.

Auch bei der LTD sind AMPA-Rezeptoren beteiligt aber auch zusätzlich metabotrope Glutamatrezeptoren. In Zellen, die beide Rezeptoren besitzen, werden durch hohe asynchrone Aktivität mehrerer präsynaptischer Neurone metabotrope Glutmatatrezeptoren aktiviert. Sie stimulieren G-Protein-vermittelt die Phospholipase C und aktivieren damit die Inositoltriphosphat-Kaskade, an deren Ende eine Aktivierung der Proteinkinase C (PKC) steht.

Die PKC phosphoryliert die AMPA-Rezeptoren an entsprechenden Serin-Resten, was dazu führt, dass die Rezeptoren sich aus der postsynaptischen Membran herauslösen. Die Folge dieser Kaskade ist, dass sich die EPSP-Amplitude reduziert.

Eine besonders ausgeprägte Form der LTD ist an den Synapsen der Purkinje-Zellen des Kleinhirns zu beobachten. Bei einmaliger Aktivierung einer Kletterfaser, die mit den Dendriten der Purkinje-Zelle viele Synapsen bildet, wird die Erregung, die dieselbe Purkinje-Zelle über Parallelfasern erhält, abgeschwächt. Eine Parallelfaser bildet hierbei mit vielen Purkinje-Zellen Synpasen, eine Purkinje-Zelle hat dagegen aber nur eine Synapse mit einer Parallelfaser. Der Sinn dieses Mechanismus liegt darin, dass die Kletterfasern so gezielt einzelne Parallelfasersynapsen unter vielen abschwächen können.

Signalverarbeitung in Neuronenpopulationen: Vorwärtshemmung, Rückwärtshemmung, Laterale Inhibition, Kreisende Erregung

99,9 % unserer Nervenzellen sind mit der Informationsverarbeitung in Neuronenpopulationen beschäftigt. Um die hier ablaufenden Vorgänge besser verstehen zu können, muss man die grundlegenden Mechanismen dieser Informationsverarbeitung verstehen.

Vorwärts-, Rückwärtshemmung und die laterale Inhibition werden als postsynaptische Hemmung bezeichnet.

Vorwärtshemmung

Bei der Vorwärtshemmung bildet das inhibitorische Neuron eine glycinerge Synapse mit einem nachgeschalteten Neuron in der Nachbarschaft, von dem es selbst keine Signale erhält. Folglich wird die Aktivität dieser nachgeschalteten Nervenzelle gehemmt.

Rückwärtshemmung

Erhält ein inhibitorisches Neuron eine Axonkollaterale von einem exzitatorischen Neuron, auf das es dann wiederum mit einer inhibitorischen Synapse zurückprojiziert, spricht man von Rückwärtshemmung. Hierbei wird also die Aktivität des vorgeschalteten Neurons gehemmt.

Laterale Inhibition

Es handelt sich um eine besondere Form der postsynaptischen Hemmung. Sie kann sowohl vorwärts- als auch rückwärtsgerichtet sein und trägt zur Kontrastschärfung im Bereich benachbarter rezeptiver Felder sensorischer bzw. sensibler Afferenzen bei. Hierbei projizieren die hemmenden Interneurone nicht auf die sie innervierenden Neurone zurück, sondern vorwiegend auf benachbarte Zellen. Man spricht deswegen auch von einer Umfeldhemmung, bei der ein Erregungszentrum entsteht, das von einem Hemmungsfeld umgeben ist. Wichtig ist die laterale Inhibition beispielsweise in den neuronalen Netzen der Retina oder bei der Zweipunktdiskriminierung.

vereinfachtes Verschaltungsprinzip der lateralen Hemmung

Bild: “vereinfachtes Verschaltungsprinzip der lateralen Hemmung.” von Zsynth. Lizenz: CC BY-SA 3.0

Wie bereits dargelegt, existieren Mechanismen, die es uns ermöglichen längerfristig zu lernen und Informationen zu speichern. Allerdings verfügen wir auch über einen kurzfristigen Speicher, in dem Informationen nur Sekunden bis Minuten abrufbar sind. Die Grundlage dieses Kurzzeitgedächtnisses bilden kreisende Erregungen.

Kreisende Erregung

Bekommt unser Nervensystem eine Information wird diese in einen Neuronenkreis eingespeist und kreisend über synaptische Verbindungen weitergeleitet. So bleibt die Information erhalten. Die Neuronen eines solchen Kreises werden von inhibitorischen Synapsen gehemmt, so dass die Information auf diese Weise gelöscht werden kann und wir sie vergessen. Durch Wiederholung einer Information, eines Textes oder einer Formel beispielsweise, werden die Neuronenkreise des Kurzzeitgedächtnisses häufiger im gleichen Muster erregt. Die Folge ist eine längere Speicherung der Information, bevor sie schließlich durch die oben dargelegten Mechanismen ins Langzeitgedächtnis übergeht.

Fragen zur synaptischen Plastizität und neuronalen Signalverarbeitung

Die Antworten befinden sich unterhalb der Quellenangaben.

1. Welche Aussage zur Langzeitpotenzierung und den beteiligten Rezeptoren trifft nicht zu?

  1. NMDA-Rezeptoren werden durch Mg2+-Ionen blockiert
  2. AMPA- und NMDA-Rezeptoren sind ionotrope Glutamatrezeptoren
  3. Durch den NMDA-Kanal fließen Ca2+-Ionen
  4. NO erhöht die Empfindlichkeit der AMPA-Rezeptoren für Glutamat
  5. Die Langzeitpotenzierung ist mit Lernprozessen assoziiert

2. Welche Aussage zu LTD ist richtig?

  1. Sie wirkt über AMPA- und NMDA-Rezeptoren
  2. Über die Inositoltriphosphatkaskade wird schlussendlich der Threonin-Rest von AMPA-Rezeptoren phosphoryliert
  3. Die PKC vermittelt die Wirkung über Proteinphosphorylierungen
  4. Eine besonders ausgeprägte Form der LTD zeigt sich im Gyrus angularis
  5. Eine Purkinje-Zelle erhält Informationen von über 100 Parallelfasern

3. Die laterale Inhibiton:

  1. ist eine Form der präsynaptischen Hemmung
  2. spielt in der Retina keine Rolle
  3. ist immer vorwärtsgerichtet
  4. ist Grundlage des Langzeitgedächtnisses
  5. ist wichtig für die Zweipunktdiskriminierung


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