
Bild: “ ” von Dario Alvarez. Lizenz: CC BY 2.0
Festgefahrene Rollen
Auf einer Fachtagung der Kassenärztlichen Vereinigung im November 2014 stellte Prof. Schwantes folgende Fakten zur Arzt-Patienten-Beziehung vor:
- Nur zu 50 % teilen Arzt und Patient die Meinung über das medizinische Hauptproblem.
- Ärzte schätzen den Zeitanteil, den sie mit Erklärungen und gemeinsamer Planung verbringen, um neun Mal höher ein, als er tatsächlich ist.
- Ärzte unterbrechen das Reden ihres Patienten nach durchschnittlich 10 bis 20 Sekunden.
- Würden Patienten nicht unterbrochen werden, würden sie durchschnittlich 90 Sekunden sprechen.
- Die tatsächliche spontane Gesprächszeit eines Patienten im Arztgespräch liegt bei etwa 60 Sekunden.
In der Praxis bleiben den Patienten also nur wenige Sekunden, um zu erklären, was ihnen fehlt. Nur selten lassen Ärzte die Patienten ganz ausreden. Und das, obwohl sie wissen, dass ein gutes Arztgespräch die Basis des gegenseitigen Vertrauens ist.
Schnell finden sich die althergebrachten Rollenmuster im Alltag wieder, weil sie effizient funktionieren. Durch zügiges Vorantreiben des Gesprächs sind die Patienten schnell behandelt und schnell wieder weg.
Bekanntes Thema, unbekanntes Terrain
Während es früher tatsächlich die Aufgabe des Arztes war, den Patienten hauptsächlich körperlich zu untersuchen, so hat er heute mehrfach diffizilere Fähigkeiten zu beherrschen. Oftmals fungiert er lediglich als Übersetzer komplexer medizinischer Analysen und Diagnostiken.
Patienten sammeln über das Internet meist selbst Informationen, die zum Teil Verwirrung stiften. Daher müssen die kommunikativen und psychologischen Fähigkeiten des Mediziners ausgebaut werden. Als Allein-Autorität gilt er kaum noch.
Viele Ärzte reagieren mit erschlagender Autorität: Sie vermitteln dem Patienten, dass sie weder die Kompetenz eines studierten Medizinmanns in Frage stellen dürften, noch das Recht hätten, sich eine Eigendiagnose anzumaßen. Die Google-Ausdrucke in den Händen des Kranken lachhaft zu machen, kann keine Lösung sein.
Gesundheitsorientierte Gesprächsführung
Eine gesundheitsorientierte Gesprächsführung nach Prof. Schwantes verlangt demnach Folgendes: Eine positive und respektvolle Haltung dem Patienten gegenüber muss mit echter Wahrnehmung und nicht mit Vorverurteilung einhergehen. Empathie entsteht oft erst durch Rückfragen und Abklärung. Wertschätzende Worte oder Lob können den Patienten Vertrauen fassen lassen.
Das anschließende dialogische Gespräch sollte durch Fragen charakterisiert sein und dem Patienten eine Wahl treffen lassen. Auch Aufgaben für den Patienten gehören dazu. Die Bewusstmachung der Eigenverantwortung löst den Patienten aus seiner Rolle und nimmt auch dem Arzt den Druck als heilendem Dienstleister.
Laut Ärzteblatt ist es genau das, was die Patienten sich wünschen. Entgegen den Vorurteilen der praktischen Ärzte wollen die Kranken sich aktiv einbringen. Diese Beteiligung an der individuell erstellten Gesundheitsstrategie ist der beste Garant für eine schnelle Genesung!
Sieben Hinweise für das Arztgespräch
Reflektieren Sie, ob Sie die folgenden sieben Hinweise, die das Deutsche Ärzteblatt herausgegeben hat, wirklich verinnerlicht haben:
- Ernstnehmen: Führen Sie Gespräche auf Augenhöhe? Machen Sie sich klar, dass für den Patienten das Gespräch der Schlüssel zur Klärung seiner Fragen und Ängste ist?
- Kompetenz ausbauen: Arbeiten Sie aktiv an Ihren kommunikativen Fähigkeiten? Reflektieren Sie die Gespräche? Prüfen Sie, wie viele Fragen Sie gestellt haben oder was Sie vom Patienten erfahren haben?
- Verständlichkeit: Sind Sie sicher, dass Sie verstanden wurden? Stellen Sie respektvolle Nachfragen, die absichern, ob Sie die medizinischen Inhalte verständlich kommuniziert haben.
- Fragen: Wie viele Fragen stellen Sie an den Patienten? Sind darunter auch offene Fragen, die den Patienten zum Erzählen animieren? Sind darunter Entscheidungsfragen, die dem Patienten Selbstverantwortung und Beteiligung am medizinischen Prozess abverlangen?
- Geduld: Sind Sie gedanklich beim Patienten, der vor Ihnen sitzt? Hören Sie wirklich zu? Oder glauben Sie, bereits zu wissen, was er sagen wird? Der Patient fühlt sehr genau, ob er bereits abgeurteilt wurde – oder ob es sich um echte Aufmerksamkeit handelt. Geduld ist der Schlüssel zu einer vertrauensvollen Beziehung.
- Beteiligung: Hat der Patient das Gefühl, vom Arzt eine rigide Behandlungsform verschrieben zu bekommen, die für seine individuellen Bedürfnisse vielleicht nicht einmal passt, sind die Heilungschancen schlecht. Wenn der Patient die Therapie versteht und Entscheidungen mitträgt, wird er voll motiviert sein.
- Patientensicht: Ein Arzt sollte sich immer wieder aktiv dazu zwingen, die Perspektive des Patienten einzunehmen. Das fördert seine empathischen Fähigkeiten – und das Gespür für den richtigen Umgang mit Patienten.
Die Haltung zählt!
In einem Gesundheitssystem, das an allen Ecken und Enden spart, ist sicher nicht allein dem Mediziner der Vorwurf zu machen. Die Gespräche müssen – um sich zu rechnen – immer kürzer werden. Doch mit der Verinnerlichung der Bedeutung von Kommunikation könnten insbesondere Hausärzte auch eine andere Strategie fahren.
Wenn nämlich die Gespräche nicht so flüchtig verliefen, dann könnten viele Missverständnisse und sinnlose Behandlungen vermieden werden. Ein ausführlicher Dialog und die richtige innere Haltung können helfen, den Bedürfnissen der Patienten so nachhaltig entgegenzukommen, dass die Arztbesuche seltener werden. Ein gutes Arzt-Patienten-Gespräch auf Augenhöhe ist immer eine wertvolle Investition.
Zum Weiterlesen
- KBV (2014): Bausteine für die Arzt-Patienten-Kommunikation. Fachtagung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.
- Prof. Dr. med. Ulrich Schwantes (2014): Arzt-Patienten-Kommunikation in der hausärztlichen Praxis bei knappen zeitlichen Ressourcen. Fachtagung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.
- Patric Kutscher (2013): Die Arzt-Patient-Beziehung: Sieben Tipps, wie Sie die Kommunikation mit den Patienten verbessern. Deutsches Ärzteblatt. Heft 29.
- Dr. Eva Richter-Kuhlmann (2014): Arzt-Patienten-Kommunikation: Kein „alter Hut“. Deutsches Ärzteblatt. Heft 47.
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