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Bild: “Krankheitsmodelle Übersicht” von OnkelDagobert. Lizenz: CC BY-SA 3.0
Die Funktion von Krankheitsmodellen
Die gemeinschaftliche akzeptierte Sichtweise von Krankheit charakterisiert ein Krankheitsmodell und schafft ein Gefühl von Gruppenzugehörigkeit (man denke an die verschiedenen Facharztbereiche). Durch Krankheitsmodelle werden die Wahrnehmung und die Organisation des Handelns im medizinischen Alltag strukturiert. Je nachdem, welches Modell man in den Fokus rückt, werden Fakten aus unterschiedlichen Richtungen beleuchtet.

Bild: “Krankheitsmodelle Übersicht” von OnkelDagobert. Lizenz: CC BY-SA 3.0
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Verhaltensmodelle
Unser Verhalten hängt vor allem von unseren Lern- und Denkprozessen ab, auch wenn wir uns unwohl und krank fühlen. In der Verhaltensanalyse betrachtet man fünf Bedingungsgrößen, die viele menschliche Verhaltensweisen erklären können.
SORKC-Modell: Verhaltensanalytisches Modell nach Kanfer (1976)
Das SORKC-Modell enthält fünf wichtige Bedingungsgrößen, wodurch eine Vielzahl menschlicher Verhaltensweisen/Störungen erklärt werden kann.
- S: Stimuli wie auslösende Reize oder Situationen.
- O: Organismusvariablen: angeborene Disposition, biologische Besonderheiten, Vorschädigung.
- R: Reaktionen sind Formen des gezeigten Verhaltens.
- K: Kontingenzen geben Auskunft über den Zusammenhang zwischen R und K.
- C: Consequencen sind Verstärker und zeigen Rückwirkungen auf das Verhalten.

Bild: “Sorkc” von OnkelDagobert. Lizenz: CC BY-SA 3.0
Konditionierung: Klassisch und operant
Woher kommt und wozu dient ein Symptom? Besonders wichtig sind die Verstärker, die ein Symptom aufrechterhalten und zur Chronifizierung dessen beitragen können. Diese Lernarten wirken zusammen:
- Klassisches Konditionieren: respondentes Lernen.
- Operantes Konditionieren: Lernen am Erfolg.
Verhaltensmedizin
In der Verhaltensmedizin werden interdisziplinär die Beziehungen zwischen Störungen, Verhalten und Umwelt untersucht. Sie erreichen Ihr ärztliches Handlungsziel durch Mittel, die das Verhalten modifizieren, z.B. durch Patientenschulungen oder Biofeedback.
Biopsychologische Modelle

Bild: “Vulnerabilitäts-Stress-Modell (Diathese-Stress-Modell).” von OnkelDagobert. Lizenz: CC BY-SA 3.0
Definition von Krankheit im biologischen Modell: Störung der Homöostase durch Veränderung von Organismen. Jede Erkrankung entsteht jedoch nicht alleine durch biologische Faktoren. Aufgrund der drei Haupteinflüsse geht man aktuell von einem bio-psycho-sozialen Krankheitsmodell aus. Berücksichtigt werden müssen auch subliminale Reize für die Entstehung und Aufrechterhaltung von Krankheit. Subliminale Wahrnehmungsprozesse liegen unter der Schwelle bewusster Wahrnehmung.
In Zusammenhang mit Emotion, Stress und Krankheit, sollten Sie sich folgende Begriffe gut einprägen:

Bild: “Stark vereinfachtes Modell der menschlichen Informationsverarbeitung” von OnkelDagobert. Lizenz: CC BY-SA 3.0
Ein „gutes“ Maß an Stress kann positive Auswirkungen haben, z.B. neue berufliche Herausforderungen können Eustress auslösen. Vom negativen Distress spricht man, wenn jemand durch konstant hohe Stresspegel belastet und zermürbt wird (als Folge z.B. Burnout). Die inneren und äußeren Reize (individuell sehr unterschiedlich erlebbar!) heißen Stressoren und die körperliche Antwort auf Stressoren ist die Stressreaktion mit verstärkter Sympathikusaktivierung.
Psychodynamische Modelle
In der Psychodynamik ist von folgender Grundannahme auszugehen: Der Mensch wird zum Großteil von Trieben, Antrieben und Motiven geleitet, die dem Bewusstsein nicht zugänglich sind. Das psychodynamische Modell sieht diese unbewussten Konflikte für die Entstehung von Krankheit als Ursache an. Dieses Modell basiert auf der Theorie der Psychoanalyse von Sigmund Freud.
Gliederung der menschlichen Persönlichkeit
- Das Bewusste: Alle Wahrnehmungen und Gedanken des Augenblicks.
- Das Vorbewusste: Erinnerungen und Wissen, was jederzeit aktiv ins aktuelle Bewusstsein gebracht werden kann.
- Das Unbewusste: Der Teil, zu dem unser Bewusstsein keinen Zugang hat und einen Widerstand gegen diese Inhalte aufrechterhält: verdrängte Traumata, unterdrückte Triebe.
Gliederung der menschlichen Psyche
Die menschliche Psyche unterteilt Freud in drei Teile: Es, Ich und Über-Ich. Das komplexe Wechselspiel zwischen diesen drei Qualitäten wird Psychodynamik genannt.
ES: Das Es hat einen physiologischen Ursprung und besteht seit Geburt und liefert die Energie für die grundlegende unmittelbare Bedürfnisbefriedigung nach dem „Lustprinzip“: Nahrung, Wasser, Ausscheidung, Wärme, Zuwendung und Sexualität. Die Haupttriebe sind Eros, die lebensintegrierende Kraft, vor allem Libido und Thanatos, der Todestrieb. Diese Trieb- oder Instinktansprüche werden Primärprozess genannt.

Bild: “Das Modell des psychischen Apparats nach Freud” von Rainer Zenz. Lizenz: CC BY-SA 3.0
ICH: Das Ich entwickelt sich aus dem Es in der 2. Hälfte des 1. Lebensjahres. Die verlangte Triebbefriedigung wird durch das Ich in einem Sekundärprozess (planen und entscheiden) aufgeschoben und so reguliert. Das Ich stellt also seine Kraft in den Dienst des akzeptierten Impulses: das „Realitätsprinzip“.
ÜBER-ICH: Das Über-Ich trägt die moralischen Normen der Gesellschaft, das „Gewissen“.
Die Angstabwehrmechanismen in der Psychoanalyse: Immunsystem der Psyche
Es, Ich und Über-Ich stehen in fast ständigem Konflikt miteinander und schaffen so unvermeidbar Angst. Oft werden z.B. Impulse des Es von der Ich-Instanz als fremd oder bedrohlich empfunden und möchten vom Ich zurückgedrängt werden. Das Ich kreiert unbewusst Abwehrmechanismen als Schutz gegen diese Angst.
Abwehrmechanismus | Beispiel |
Identifikation: Gegenstück zur Projektion. Objekte oder Anteile von Objekten werden introjiziert. Durch die Identifikation mit dem Aggressor wird die Furcht vor Angst auslösenden Vorbildern abgewehrt. | Identifikation mit dem Gegner, den man wegen einer eigenen, nicht eingestandenen Schwäche, ablehnt. |
Introjektion: Einverleibung äußerer Werte in die Ich-Struktur, so dass diese nicht mehr als Bedrohung erlebt werden. | Motive, Anschauungen und Verhaltensweisen werden kopiert, um besser „anzukommen“ bzw. nicht abgelehnt zu werden. |
Kompensation: ein erwünschter Charakterzug wird vermehrt betont, um Schwächen zu verhüllen. | geringe Körpergröße wird kompensiert durch extremen Fleiß. |
Konversion: Umwandlung eines psychischen Konflikts in ein körperliches Symptom. | Herzklopfen, Zittern, Erröten aufgrund von Scham. |
Projektion: Unbewusste Eigenschaften werden auf andere Personen übertragen. | Die eigene Wut wird nicht wahrgenommen und das Gegenüber mit der Frage konfrontiert „Warum regst du dich so auf?“ |
Rationalisierung: Rechtfertigung des eigenen Verhaltens vor sich und anderen durch das Heranziehen von Vernunftgründen. | Man möchte im Mittelpunkt stehen und von allen wahrgenommen werden mittels eines extravaganten Stils und rechtfertigt dies mit „Alle achten ja sowieso nur auf Äußerlichkeiten“. |
Reaktionsbildung: bedrohliche Triebe werden nicht akzeptiert, sondern das Verhalten kehrt sich ins andere Extrem. | Leben im Zölibat statt Ausleben sexueller Wünsche. |
Reversion: Verkehrung des Gegenteils. | Angst auslösend Großvater wird als Ameise in der Kinderzeichnung dargestellt. |
Spaltung: emotionale Komponenten werden von Verhalten, Gedanken und Erinnerungen isoliert und scheinbar teilnahmslos hingenommen. | Objekte oder Personen werden abgekoppelt entweder dämonisiert oder verherrlicht. |
Sublimierung: Befriedigung und Ausdruck nicht akzeptabler Wünsche durch gesellschaftlich akzeptierte oder sogar besonders hoch bewertete Bedürfnisse. | Sexuelle Triebkraft/Energie wird vollständig in ein Kunstprojekt „investiert“. |
Ungeschehenmachen: Sühne für belastende Handlungen und Wünsche, um diese so aufzuheben. | Oft Zwangshandlungen, z.B. Waschzwang nach Masturbation. |
Repression (Verdrängung): Verhinderung des Eindringens unerwünschter Impulse, Gedanken und Erinnerungen ins Bewusstsein. | Hass gegen die Mutter wird nicht zugelassen („die Eltern muss man lieben“), mögl. Gegensätzliche Handlungen in Träumen. |
Übertragung: verdrängte Emotionen, Erwartungen und Wünsche (meist aus der Kindheit) werden auf neue soziale Beziehungen übertragen. | Erwartungen des Patienten an seine Mutter werden nun an den Arzt gestellt. |
Verleugnung: Schutz vor Bedrohlichem, in dem die Kenntnisnahme verweigert wird. | Nach einem Trauma so tun, als ob nichts gewesen wäre. |
Substitution (Verschiebung): Bedürfnisbefriedigung wird vom nicht erreichbaren/konfrontablen Objekt auf ein anderes verschoben (meist feindselige Gefühle gegenüber dem Objekt). | Kind wird vom älteren Bruder unterdrückt und misshandelt. Es unterdrückt und misshandelt nun selbst Schwächere. |
Wendung gegen das Selbst: aggressive Triebe werden gegen das Selbst gerichtet. | Kind empfindet Zorn gegenüber jemandem, kann diesen der Zielperson gegenüber nicht zeigen und schlägt sich selbst. |
Sozialpsychologische Modelle
Die psychosozialen Einflüsse auf Gesundheit und Krankheit sind soziale Normen, Rollen und Einstellungen. Einstellungen prägen die Haltung einer jeden Person und beeinflussen deren Verhalten zusammen mit Emotionen und konkreten situativen Triggern. Sie sind nicht starr, sondern unterliegen ständigen Veränderungen durch Erfahrungen.
Einstellungen werden durch Sozialisation und Erfahrung erworben und können eine sehr selektive Wahrnehmung herausbilden. Dadurch können Stereotype entstehen mit vorgefassten, generalisierten Einstellungen innerhalb einer Gruppe (Heterostereotype) oder einer eigenen Gruppe (Autostereotype).
Festinger: Kognitive Dissonanz-Theorie
Unsere Einstellungen bzgl. desselben Gegenstandes können sehr widersprüchlich sein: Diesen spannungsreichen Zustand bezeichnet Festinger als kognitive Dissonanz und vertritt die Meinung, dass wir Erfahrungen auswählen und Einstellungen so anpassen bzw. filtern, dass dieser Spannungszustand möglichst minimiert oder sogar aufgehoben ist.
Psychische Risiko- und Schutzfaktoren
Kontrollattributionen: Ich oder das Schicksal?
Sehen Sie sich selbst in der Verantwortung für Ihr Leben oder glauben Sie, dass Ihr Leben vom Schicksal gesteuert wird? Diese Ursachenzuschreibungen nennt man Kontrollattributionen: Wem geben Sie Kontrolle/Wen machen Sie verantwortlich?
- Internal: Sie sehen sich und Ihr Handeln als verantwortlich für Erfolge, Misserfolge.
- External: Sie machen „das Schicksal“ oder übermächtige Größen für Ereignisse, Ziele, Scheitern verantwortlich.
- Stabil: Sie verändern diese Ursachenzuschreibung nicht.
- Variabel: Sie variieren die Ursachenzuschreibung je nach Situation.
- Generell/global: Ihre Ursachenzuschreibung ist allgemein gültig.
- Speziell/spezifisch: Ihre Ursachenzuschreibung bezieht sich auf einen konkreten Fall.
Wie wirken Kontrollattributionen auf das Gesundheitsverhalten?
Insgesamt wird eine internale Attribution als günstiger angesehen als eine externale: Wie können Sie selbst Ihre Gesundheit beeinflussen und/oder Krankheit verhindern statt an das Schicksal zu glauben, wenn Krankheit auftritt. Sich selbst also etwas zuzutrauen, wird als gesundheitserhaltend angesehen und Selbstwirksamkeitserwartung genannt.
Ein weiterer psychischer Schutzfaktor ist der Optimismus. Optimisten attribuieren bei Misserfolgen external („Die Prüfung war einfach so schwer, da konnte ich ja nur durchfallen.“) und bei Erfolgen internal („Dank meiner optimalen Vorbereitung habe ich die Prüfung so gut gemeistert.“) und sehen Probleme als Herausforderungen an.
Soziale Risiko- und Schutzfaktoren
Soziale Risikofaktoren
Soziale Isolierung kann für den Betroffenen einen Circulus vitiosus bedeuten als gleichzeitige Ursache oder Folge einer Krankheit, z.B. bei Depression. Ein weiterer bedeutender Faktor sind Rollenverluste, z.B. Beziehungsabbruch oder Arbeitslosigkeit. Dieser Verlust der stabilitätsgebenden Rollen kann in Substanzmissbrauch und Depression münden.
Soziale Schutzfaktoren
Sozialer Rückhalt ist nicht nur einer der wichtigsten Schutzfaktoren für die positive Beeinflussung von Krankheitsverläufen, sondern schon präventiv hochwirksam! Menschen, die sozial gut eingebunden sind in einem Umfeld, das sozialen Rückhalt, Unterstützung und Wertschätzung bietet, haben einen „Puffer“ gegen Stress und damit assoziierte Erkrankungen.
Soziologische Modelle
Soziologische Modelle beschreiben Faktoren und Strukturen, die unser Verhalten in vielen Bereichen bestimmen, auch im Umgang mit Gesundheit und Krankheit. Zu diesen verhaltensbestimmenden Strukturen zählen:
- Soziale Schichtung mit gesellschaftlicher Prestigestruktur.
- Soziale Netzwerke mit regionalen sozialen Unterstützungsnetzen.
- Struktur des Bildungswesens.
- Struktur des Erwerbslebens.
- Urbanisierung: Struktur des Wohnumfelds.
- Globalisierung: internationale wirtschaftliche und politische Strukturen.
Beliebte Prüfungsfragen zur Medizinischen Psychologie und Soziologie
Die Lösungen befinden sich unterhalb der Quellenangaben.
1. Eine Patientin führt das Scheitern ihrer Partnerschaft darauf zurück, dass sie die Anforderungen ihres Berufes jahrelang gezwungen haben, eine Wochenend-Ehe zu führen, wodurch die Beziehung zerrüttet wurde. Welchen Attributionsstil schreiben Sie der genannten Patientin am ehesten zu?
- global-external
- spezifisch-internal
- stabil-external
- stabil-internal
- variabel-internal
2. Welcher Abwehrmechanismus beschreibt folgendes Verhalten: Inakzeptable Impulse werden unterdrückt und stattdessen entgegengesetzte Verhaltensweisen ausgebildet.
- Konversion
- Projektion
- Rationalisierung
- Reaktionsbildung
- Verschiebung
3. Unbewusste Erlebens- und Verhaltensmuster eines Patienten, die aus früheren Erfahrungen mit wichtigen Bezugspersonen stammen, können das aktuelle Erleben und Verhalten in Bezug auf den Therapeuten beeinflussen. Wie wird dieses Verhalten in der Terminologie der Psychoanalyse bezeichnet?
- Fixierung
- Regression
- Sublimierung
- Übertragung
- Verschiebung
Quellen
M. Schön (2007): GK1 Medizinische Psychologie und Soziologie. Springer Verlag.
K. Buser, T. Schneller, K. Wildgrube (2007): Kurzlehrbuch Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie. Elsevier Verlag.
Lösungen zu den Quizfragen: 1C, 2D, 3D
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