
EU-Recht deutsches Recht
Rechtsnormenkonflikte
Normen sollten nicht im Widerspruch zueinander treten, da sonst der Ordnungscharakter des Rechts nicht mehr gewahrt würde. Daher verfügen alle Rechtsordnungen über eine Vielzahl von Kollisionsnormen, die die Funktion haben, im Einzelfall auftretende Normenkollisionen zu vermeiden. Das EU-Recht hat eine eigene (ungeschriebene) Kollisionsnorm in Form des Anwendungsvorrangs des EU-Rechts.
Kollisionsnormen
Die höhere Norm setzt sich gegenüber der niederrangigen Konfliktnorm durch, so der Grundsatz der lex superior derogat lego inferiori. Ein weiterer Grundsatz ist lex posterior derogat legi priori, wonach sich bei Normwidersprüchen auf derselben Normebene die jüngere gegenüber der älteren Rechtsnorm durchsetzt. Jedoch sind diese Regelungen weitgehend umstritten und finden keinerlei Anwendung.
Anwendungsvorrang als spezifisch EU-rechtliche Kollisionsnorm
Im Verhältnis von EU-Recht und dem Recht der Mitgliedsstaaten bedarf es einer eigenständigen Kollisionsnorm, die den Besonderheiten der zwischenstaatlichen Beziehungen innerhalb Europas nachkommt. Diese Regelung findet sich weder explizit im EU-Recht oder deutschen Recht wieder.
Konflikt EuGH und BVerfG
Daher haben der Europäische Gerichtshof (EuGH) und das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) verschiedene Konzepte entwickelt. Der EuGH verfolgt den Grundsatz des absoluten Anwendungsvorrangs. Das bedeutet, dass die Kollisionsregel hier Anwendung findet. Seit 50 Jahren betont der EuGH,
Unterm Strich differenziert der EuGH nicht zwischen den verschiedenen nationalen Normebenen, d.h. der Anwendungsvorrang erstreckt sich ohne jede Einschränkung auch auf mögliche Kollisionen mit nationalem Verfassungsrecht. Der Gerichtshof beruft sich auf die Eigenständigkeit der europäischen Rechtsordnung.
Das BVerfG hingegen verfolgt den Grundsatz des relativen Anwendungsvorrangs. Es geht ebenfalls von einem Anwendungsvorrang des EU-Rechts aus, sieht darin aber bestimmte Ausnahmen. Dass es sich für diese Fallgruppen eine Prüfungs- und Verwerfungskompetenz zuspricht, begründet das BVerfG mit einer „fortbestehenden, mitgliedsstaatlich verankerten Volkssouveränität und aus dem Umstand, dass die Staaten die Herren der Verträge bleiben.“
Entscheidend für den Geltungsbereich von EU-Recht ist Art. 23 I 2 in Verbindung mit Art. 59 II 1 GG als Zustimmungsgesetz zu EU-Verträgen.
Rechtsfolge
Sowohl EuGH als auch das BVerfG sind sich darüber einig, dass die das Verhältnis von EU-Recht und mitgliedsstaatlichem Recht regelnde Kollisionsnorm als Rechtsfolge lediglich einen „Anwendungsvorrang“ vorsieht. Die (nachrangige) nationale Norm gehört daher weiterhin zum geltenden (nationalen) Recht und bleibt anwendbar auf Fälle, die vom EU-Recht nicht erfasst werden, in denen also die Kollisionsregel nicht eingreift.
Grundrechtsproblematik
Gemäß Art. 23 I 1 GG ist die Voraussetzung für die Integration Deutschlands in die Europäische Union, dass Letztere unter anderem „einen diesem Grundsatz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet“. Das BVerfG prüft grundsätzlich keine europäischen Rechtsakte, sprich Verordnungen, Richtlinien und Beschlüsse, am Maßstab des deutschen Grundgesetzes.
Zumindest im Bereich des Grundrechtsschutzes hat das BVerfG durch die Solange-Rechtsprechung schon in der Vergangenheit den EuGH zur Forcierung seiner Rechtsprechung zur Entwicklung einzelner Grundrechtsgewährleistungen angehalten.
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