Weder Latinum noch Graecum sind heute noch verpflichtend für die Zulassung zum Medizinstudium. So werden die meisten Medizinstudierenden in der Vorklinik nicht nur mit einer sehr großen Faktenmasse konfrontiert, sondern haben auch mit unzähligen neuen Begriffen zu kämpfen. Um in dieser großen Menge neuer Fachbegriffe Systematik zu bekommen, erhalten Medizinstudierende in der Vorklinik Unterricht im Fach medizinische Terminologie. Die medizinische Terminologie befasst sich mit den Ursprüngen der medizinischen Fachsprache, ihren Einflüssen und erfasst den großen Wortschatz. V.a. die lateinische, griechische, französische und englische Sprache haben die medizinische Terminologie geprägt. Sie ist als Wissenschaft unverzichtbar, da sie eine sichere Kommunikation im professionellen Austausch ermöglicht.
Aktualisiert: Dec 13, 2022
Fachsprache ist offen für Einflüsse und Veränderungen:
Beispiel: Jeder Krankheitsbegriff hängt jeweils von der Kultur ab, in der dieser geprägt wurde. Letztlich ist es die Kultur einer Gesellschaft, die aus einem Erscheinungsbild eine Krankheit macht. Von daher muss die Fachsprache eine offene und lebendige Sprache bleiben. Ein gutes Beispiel für die Veränderung der fachlichen Sprache ist die Homosexualität, die lange Zeit als Krankheit galt.
Nomenklatur:
Beispiel: Mit einem anatomischen Terminus wird nur eine Struktur bezeichnet und nur diese eine Struktur trägt diesen Namen. Verwechslungen sind somit unmöglich.
Der Gebrauch einer Fachsprache soll der raschen und eindeutigen Informationsvermittlung dienen. Schwierig für Tätige im medizinischen Bereich, besonders Ärzt*innen, ist, dass sie verschiedene Gruppen in ihrer Arbeit adressieren: Kolleg*innen und Patient*innen. Während im kollegialen Gespräch und Schriftverkehr die präzise Benennung der richtigen Termini unumgänglich ist, ist die medizinische Fachsprache im Arzt-Patienten-Gespräch fehl am Platz.
Die medizinische Fachsprache wird dafür genutzt:
Die medizinische Fachsprache ist nur vor einem historischen Hintergrund zu verstehen. Sie ist durch verschiedene medizinische Konzepte und Theorien gewachsen.
Besonders in mündlichen Prüfungen wie den Anatomie-Testaten gilt es Ausspracheregeln zu beachten. Die Aussprache medizinischer Termini beruht auf der des klassischen Lateins. Im Deutschen gelten folgende Ausspracheregeln für folgende Buchstaben:
Buchstaben | Aussprache als | Bemerkungen, Beispiele |
---|---|---|
ae, oe | ä, ö | Einsilbig: praepatellaris, Oesophagus, Oculoguttae |
ae, oe | a-e, o-e | Zweisilbig: Stromaendometriose, Hämatopoese |
eu, ei | eu, ei | Einsilbig im Wortinnern wie in heute, heiter: Pneuma, Cheilitis |
eu, ei | e-u, e-i | Zweisilbig am Wortende als e-u und e-i: deltoideus, ossei |
sp, st | s-p, s-t | Spina, Sternum (nicht wie Spinat oder Stern!), Gastritis |
ph, th | F, t | Pyonephros, Sphincter, Thymus, Ophtalmologika |
ti | zi | Vor –a, -um, -o, -al: Eminentia, Spatium, Articulatio, initial |
qu, gu | kw, gw | Vor Vokalen, auch vor –u: Liquor, oliquus, Unguentum |
ch | ch, k | Ohne klare Regeln als ch: Cheilitis, Achirie, als k: Cholera, achromatisch |
sch | sch | Wie in Schulter: Schizophrenie, Ischämie |
v | w | Valva, Divertikel, Glaucoma juvenile |
Machen Sie sich als Nicht-Lateiner nicht verrückt! Auch wenn Ihr Professor für medizinische Terminologie mit Begriffen nur so um sich wirft, lohnt es sich für Sie nicht, sich bis ins kleinste Detail mit den Deklinationen der Substantive und Adjektive zu befassen.
Morpheme sind die kleinste bedeutungstragende Einheit eines Wortes.
Sehr sinnvoll ist es, eine Reihe von Präfixen zu verinnerlichen. Diese Bausteine der medizinischen Fachsprache leiten sich häufig von Präpositionen ab. Präfixe zu kennen, erleichtert das Verständnis von anatomischen und klinischen Begriffen deutlich.
Latein | Griechisch | Deutsch | Beispiel |
---|---|---|---|
in- | en- | in, in … hinein | Injektion, incisura, Embolie |
intra- | endo- | innen, innerhalb | Intramural, Endokard, Intrarollenkonflikt |
extra- | ekto-, exo | außen, außerhalb | Ektoderm, extrakorporal |
e(x)- | ek- | aus, heraus | Vasektomie, Exitus, Extremität |
se- | – | heraus, weg von | Sekret, separieren |
ab(s)-, de- | apo- | von weg, hinab | Apoplex, descendens, Ablatio, N. abducens |
ad- | pros- | zu, heran, bei, hinauf, heran | Afferens, ascendens, accessorius, prosthetisch |
– | ana- | hinauf, auseinander, wieder zusammen | Anaphase, Anabolika, Analyse, Anatomie, Anamnese, Anastomose |
– | kat(a)- | hinab, nach | Katabol, Katarakt, Katamnese |
post- | – | nach, hinter | Postmortal, posttraumatisch |
– | meta- | mitten, zwischen | Metabolismus, Metaphase, Metaanalyse |
ante-, pro- | prae-, pro- | vor, vorn, vor, vorwärts | Antebrachium, praemorbid, Prophylaxe, Promotion, processus |
super- | hyper- | über, übermäßig | Hyperaktiv, Superinfektion |
supra- | epi- | oberhalb, auf, nach | Epiphyse, suprarenal, Epithel, Epikrise |
sub-, infra- | hypo- | unter, zu wenig, unterhalb | Hypothyreose, subfebril, infraorbitalis, Hypophyse, sublingual |
iuxtra- | para- | neben, Normabweichung, gegen | Iuxtraartikulär, Paranoia, parenteral, paradox |
per- | – | durch, Steigerung | Perfusor, perakut |
trans- | dia- | durch, hinüber, zwischen, aneinander | Dialyse, Transfusion, Transplantation, Diabetes, Diaphyse, Diastole, Diarrhoe |
di(s) | – | auseinander | Dislokation, Dissoziation, |
inter- | meso- | zwischen, mittig | Mesoderm, Intervall, intermittierend |
re-, contra-, ob- | anti- | zurück, gegen, wider | Antikörper, Antidot, Resonanz, Kontraindikation, reversibel |
con- | syn- | Zusammen, Steigerung | Kontraktion, Synthese, Symbiose, kollabieren |
Bei einigen Fachtermini erfolgt die Zusammensetzung modular durch mehrere Einzeltermini:
Präfix (z. B. Endo = innen) → Wortstamm (z. B. kard = Herz) → Suffix (z. B. itis = Entzündung) → Endokarditis (Entzündung der Herzinnenhaut)
Diese Farben kommen in vielen Begriffen immer wieder vor:
Fast nie besteht ein anatomischer Terminus nur aus einem Wort. Im Gegenteil: Um Eindeutigkeit zu garantieren, wurden sehr viele Bezeichnungen für die vielen Strukturen und Teilstrukturen des menschlichen Körpers gefunden. Substantive werden durch Attribute erweitert und so präzisiert: Adjektive, Genitive, Appositionen und Präpositionalausdrücke.
Deutsch | Latein | Griechisch |
---|---|---|
Haut | cutis | derm(ato) |
Kopf | caput | kephal(o) |
Hirn | cerebrum | enkephal(o) |
Auge | oculus | ophtalm(o) |
Ohr | auris | ot(o) |
Nase | nares | rhin(o) |
Mund | os | stom(ato) |
Zahn | dens | odont(o) |
Zunge | lingua | gloss(o) |
Herz | cor | kard(io) |
Lunge | pulmo | pneum(o) |
Bauch | venter | lapar(o) |
Leber | iecur | hepat(o) |
Galle | bilis | chol(e) |
Milz | lien | splen(o) |
Magen | stomachus | gastr(o) |
Dünndarm | ileum | enter(o) |
Dickdarm | – | col(o) |
Niere | ren | nephr(o) |
Gebärmutter | uterus | metr-, hyster- |
Aus dem komplizierten Regelwerk der noch heute gültigen Nomenklatur der Anatomie von 1955 gibt es einige, wichtige Abkürzungen im Umgang mit dem Anatomieatlas.
Abkürzung | Latein | Deutsch |
---|---|---|
A. | Arteria | Arterie |
V. | Vena | Vene |
M. | Musculus | Muskel |
N. | Nervus | Nerv |
R. | Ramus | Ast, Zweig |
Gl. | Glandula | Drüse |
Nd. | Nodus | Knoten |
Tr. | Truncus | Stamm, Rumpf |
Lig. | Ligamentum | Band |
Nucl. | Nucleus | Kern |
Im klinischen Bereich wird mit Akronymen nicht gespart. Die folgenden Abkürzungen sind besonders wichtig: