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Bild: „stache“ von Melissa O’Donohue. Lizenz: CC BY-ND 2.0
Epidemiologie
Passagere Ticstörungen im Kindesalter
Unter Patienten mit Ticstörungen werden Sie als Arzt oder Student häufig Kindern begegnen. 4-12 % aller Kinder leiden unter einer passageren Ticstörung.
Jungen sind dreimal häufiger als Mädchen der gleichen Altersgruppe betroffen. Meist verschwinden die Tics wieder im Zeitraum von 6 Monaten. Bei Auftreten in der Adoleszenz jedoch aggraviert die Symptomatik meist und persistiert chronisch ins Erwachsenenalter. Darüber hinaus konnte eine Häufung innerhalb der Familie nachgewiesen werden.
Ätiologie
Nach jetztigem Wissensstand liegt ein hereditärer Überschuss an Dopamin in den Basalganglien vor. Großangelegte europäische Studienreihen (EMTICS) finden aktuell heraus, welche Rolle Infektionen und Autoimmunprozesse bei der Krankheitsentstehung spielen. Entscheidend für die Therapieansätze ist vor allem, ob ein organisches Problem vorliegt, keine psychogene Ursache.
Symptome
Die Patienten leiden unter raschen, wiederholten Bewegungen oder unwillkürlicher Lautproduktion, die ohne Willkür, Rhythmus und Zweckgebundenheit plötzlich einsetzt. Man teilt ein in einfache und komplexe, motorische und verbale Tics.
Motorische Tics
- Einfach: Räuspern, Grimassieren, Stirnrunzeln, Augenrunzeln, Schultern hochziehen, ruckartige Kopfbewegungen
- Komplex: Berühren von Mitmenschen und Gegenständen, Springen, Kopropraxie, Körperverdrehungen, selbstverletztendes Verhalten
Vokale Tics
- Einfach: Räuspern, Schmatzen, Grunzen, Husten, Bellen
- Komplex: Koprolalie, Echolalie, Palilalie
Nach ICD-10 wird in vorübergehende Ticstörungen (4 Wochen – 12 Monate), chronisch motorische ODER vokale Tics (mind. 12 Monate ohne Remission) und kombiniert vokale UND motorische Tics (mind. 12 Monate ohne Remission) eingeteilt. Letzteres entspricht dem Gilles-de-la-Tourette-Syndrom, das häufig progredient im Erwachsenenalter persistiert. Häufige Komorbiditäten beim Tourette-Syndrom sind ADHS und Asperger-Autismus.
Differentialdiagnosen
Der Ticstörung ähnliche Krankheitsbilder
Um die Diagnose Ticstörung zu stellen, müssen Sie einige relevante DDs ausschließen.
- Zwangsstörungen: Zwangsgedanken mit Handlungsanweisungen
- Dyskinesien in Folge von Neuroleptika oder Grunderkrankungen wie Chorea Huntington oder Enzephalitiden
- Tiefgreifende Entwicklungsstörungen, stereotypische Bewegungsstörungen, welche z. B. mit Wiegebewegungen oder Selbstverletzungen einhergehen
Zu Muskelzuckungen speziell im Gesicht sind Sie mit einer ganzen Reihe von Differentialdiagnosen konfrontiert: Spasmus hemifacialis, oromandibuläre Dystonie und Blepharospasmen. Muskelkontraktionen dieser Ursachen werden mit einer Botulinum-Injektion oder operativer Dekompression therapiert.
Therapie
Möglichkeiten zur Behandlung von Ticstörungen
Ihre erste Aufgabe als Arzt ist, den Patienten oder die wichtigsten Bezugspersonen umfassend über die Erkrankung aufzuklären. Bei Kindern muss auf die häufige passagere Entwicklung hingewiesen werden. Bei leichten Verlaufsformen können Habit-Reversal-Trainings kleinere Behandlungserfolge erzielen. Für Patienten mit Tourette-Syndrom besteht aufgrund von Unverständnis in ihrem Umfeld die Gefahr, dass sich Stigmatisierung, Ausgrenzung, Rückzug und Isolation entwickeln. Sozialpsychiatrische und pädagogische Unterstützung können dem Patienten bei dem Umgang mit der Erkrankung helfen und sollten eine medikamentöse Therapie möglichst umrahmen.
Medikamentös therapieren Sie mit Dopaminantagonisten. Angewendet werden typische Neuroleptika wie Tiaprid, Haloperidol und Pimozid. Alternativ kommen atypische Neuroleptika wie Risperidon zum Einsatz. Eine weitere Option stellt die tiefe Hirnstimulation (THS) dar.
Große Unikliniken oder Klinikzentren bieten teilweise Spezialambulanzen für Patienten an, so auch z.B. das LMU Klinikum München mit einer Tourette-Ambulanz.
Quellen
Leitlinie zu Tics der Dt. Gesellschaft für Neurologie
EMTICS (European Multicentre Tics in Children Study) via emtics.eu
Tourette-Ambulanz Uniklinik München via klinikum.uni-muenchen.de
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