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Definition
Das Nephroblastom oder auch Wilms-Tumor ist der häufigste Nierentumor bei Kindern und ausgehend von Resten des metanephrogenen Blastems. Dieses Gewebe verschwindet in der Regel bis zur 36. Schwangerschaftswoche. Bleibt dieses embryonale Gewebe teilweise zurück, spricht man von einer Nephroblastomatose. Diese Nephroblastomatose stellt eine Tumorvorstufe dar und ist bei 40 % der Kinder mit Wilms-Tumor nachzuweisen.
Epidemiologie
Vorkommen von Nierentumor
Die Inzidenz des Wilms-Tumors beträgt 1:10.000. 85 % der Patienten sind jünger als 6 Jahre, meist erfolgt die Diagnosestellung schon im zweiten oder dritten Lebensjahr. Mädchen erkranken etwas häufiger als Jungen und es besteht eine unterschiedliche Inzidenz für Kinder unterschiedlicher Ethnik. So ist die Inzidenz in Asien wesentlich niedriger als bei europäischen oder amerikanischen Kindern.
Ätiologie
Ursachen für das Nephroblastom
Die Entstehung des Nephroblastoms ist wesentlich komplexer, als die einiger anderer maligner Tumore des Kindesalters. In den Tumorzellen findet sich bei etwa 1/3 der Patienten eine Deletion des Wilms-Tumorsuppressorgens WT1 im kurzen Arm des Chromosoms 11. Andere beschriebene Mechanismen, die zur Tumorentwicklung beitragen, sind der Verlust der Heterozygotie und der Verlust von Imprinting.

Bild: “Microdeletion including WT1 but not PAX6, presenting with cataract, mental retardation, genital abnormalities and seizures: a case report.” von Almind GJ, Brøndum-Nielsen K, Bangsgaard R, Baekgaard P, Grønskov K. Lizenz: CC BY 2.0
In 10 % der Fälle ist der Tumor außerdem mit Fehlbildungen, wie dem WAGR-Syndrom (Wilms-Tumor, Aniridie, genitale Fehlbildung, mentale Retardierung), Denys-Drash-Syndrom (Pseudohermaphroditismus, Glomerulopathie, Wilms-Tumor), der Neurofibromatose Recklinghausen 1 und dem Beckwith-Wiedemann-Syndrom (Exomphalus-Makroglossie-Gigantismus-Syndrom), vergesellschaftet.
Metastasierung beim Nephroblastom
In 5 % wird beidseitiges Auftreten des Nephroblastoms beobachtet. Die Metastasierung erfolgt vor allem in regionale Lymphknoten und die Lunge.
Klassifikation
Histologische Einteilung des Nephroblastoms
Die histologische Einteilung erfolgt in drei Gruppen mit unterschiedlichen Malignitätsgraden anhand der SIOP (International Society of Pediatric Oncology)-Klassifikation von 2002. In ca. 80 % der Fälle liegt intermediäre Malignität, also die Standardhistologie vor.
Typischerweise findet man im Tumor ein Blastem bestehend aus Zellhaufen mit hyperchromatischen ovoiden Kernen. Im Blastem formieren sich Rosetten, Tubuli und pseudoglomeruläre Strukturen.

Bild: “Wilms tumour” von Nephron. Lizenz: CC BY-SA 3.0
Klinik
Symptome des Nephroblastoms
Hauptsymptom des Nephroblastoms ist sie schmerzlose Vorwölbung des Abdomens. Nur rund 1/4 der Kinder klagt über Schmerzen. In wenigen Fällen ist eine Hämaturie zu beobachten. Uncharakteristische Symptome sind Fieber, Obstipation, Durchfall und Gewichtsabnahme.
Etwa 10 % der Nephroblastome werden zufällig bei einer Vorsorgeuntersuchung (meist U3 oder U4) entdeckt, da sie symptomlos sind.
Diagnostik
Radiologische Untersuchung bei Verdacht auf ein Nephroblastom
Mittels der Sonographie und CT oder MRT erfolgt die Darstellung der Tumorausdehnung und Detektion von Lymphknotenmetastasen. Auch ein Thrombus in der Vena cava inferior ist öfters nachzuweisen, da der Tumor gerne zapfenförmig in die Gefäße einwächst. Im Urogramm zeigt sich typischerweise eine Aufspreizung des Nierenbeckenkelchsystems.
Die Darstellung der zweiten Niere ist vor der Operation essentiell, da eine Einzelniere oder bilaterale Tumoren ausgeschlossen werden müssen.
Spezifische Tumormarker bestehen für das Nephroblastom nicht. Doch die Bestimmung der Serum-Katecholaminabbauprodukte kann zur Abgrenzung eines Neuroblastoms in einigen Fällen sinnvoll sein.
Stadieneinteilung des Nephroblastoms
- Stadium I: Der Befund ist auf die Niere beschränkt und vollständig resektabel.
- Stadium II: Der Tumor reicht über die Niere hinaus und ist vollständig entfernbar.
- Stadium III: Die Tumorentfernung ist nur unvollständig möglich oder Lymphknoten sind befallen.
- Stadium IV: Fernmetastasen sind nachweisbar.
- Stadium V: Das Nephroblastom ist bilateral.
Therapie
Behandlung des Nephroblastoms
Die Therapie des Nephroblastoms ist abhängig vom Stadium der Erkrankung, dem histologischen Subtyp und dem Alter des Kindes. Ohne Behandlung endet die Erkrankung infaust. Bei der operativen Tumorentfernung besteht immer die Gefahr einer Tumorruptur und Aussaat in das Abdomen, mit einhergeheder Prognoseverschlechterung. Deshalb werden auch nur Kinder unter 6 Lebensmonaten primär operiert. Bei älteren Kindern ist zunächst eine Tumormassereduktion mittels neoadjuvanter Chemotherapie durchzuführen, so dass präoperativ möglichst ein Stadium I erreicht wird. Ab Stadium III ist eine Radiatio notwendig. Bei einseitigem Nephroblastom erfolgt dann die Tumornephrektomie.
Prognose bei Nephroblastomen
Die Prognose ist sehr gut. Die 5-Jahres-Überlebensrate liegt bei 80 %, im Stadium I sogar bei 90 %.
Verlaufsdiagnostik und Nachsorge
Noch während der Therapie ist darauf zu achten, eine veno-occlusive disease der kleinen Lebervenen frühzeitig zu erkennen. Dies ist eine häufige Nebenwirkung des Zytostatikums Actinomycin D, das die Leitsubstanz bei der Chemotherapie des Nephroblastoms darstellt. Zur Verlaufsdiagnostik ist die abdominelle Sonographie wegen der nicht vorhandenen Strahlenbelastung gut geeignet.
Regelmäßige Nachsorge beim Wilms Tumor
Zum Ausschluss von Lungenmetastasen sind in regelmäßigen Abständen Röntgenbilder der Lungen anzufertigen. Langfristig ist vor allem auf Wachstumsstörungen von Skelett und Weichteilen als Folge der Radiatio zu achten.
Beliebte Prüfungsfragen zum Wilms Tumor
Die Lösungen befinden sich unterhalb der Quellenangaben.
1. Bei einem reif geborenem Säugling stellen Sie während der U3-Vorsorgeuntersuchung eine indolente Vorwölbung des Abdomens fest. Auch die Venenzeichung scheint im Bereich des Bauches vermehrt zu sein. Die Mutter gibt an, dass das Baby öfters unter Verstopfung leide und sie das pralle Abdomen darauf zurückgeführt habe. Sie führen eine Abdomensonographie durch und sehen einen großen Tumor ausgehend von der rechten Niere, der auch in die Nierengefäße einzuwachsen scheint. Welche weitere diagnostische Maßnahme ist nicht indiziert?
- CT des Abdomens
- Urogramm zur Darstellung des Kelchsystems
- Sonographische Darstellung der 2. Niere
- Biopsie des Tumors und histologische Untersuchung
- CT der Lunge
2. Mit welchem Fehlbildungssyndrom ist das Nephroblastom nicht assoziiert?
- Laurence-Moon-Syndrom
- Denys-Drash-Syndrom
- WAGR-Syndrom
- Beckwith-Wiedemann-Syndrom
- Morbus Recklinghausen
3. Welche zytostatische Substanz wird häufig bei der Chemotherapie des Nephroblastoms eingesetzt und ist bei Überdosierung insbesondere bei dystrophen Kindern ursächlich für das Auftreten einer Venenverschlusskrankheit der Leber (veno-occlusive disease)?
- Amphotericin B
- Actinomycin D
- Azathioprin
- Azacitidin
- Cyclophosphamid
Quellen und Leitlinie zum Nephroblastom
Christian P. Speer, Manfred Gahr: Pädiatrie, Springer 2009
Ludwig Gortner, Sascha Meyer, Friedrich Carl Sitzmann: Duale Reihe Pädiatrie, Thieme 2012
Nephroblastom (Wilms-Tumor) Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie. In: AWMF online (Stand 01/2008)
M. L. Metzger, J. S. Dome: Current therapy for Wilms‘ tumor. In: Oncologist. 2005 Nov-Dec;10(10), S. 815–826. Review.
B.Coley: Caffey’s Pediatric Diagnostic Imaging, Mosby 2013
Lösungen: 1A, 2A, 3B
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