Die Osteopathie boomt. Die teilweise Übernahme der Behandlungskosten durch die gesetzlichen Krankenkassen und die wachsende Zahl von osteopathischen Behandlungen belegen und befeuern diesen Trend. Gleichzeitig gibt es noch immer ein hohes Maß an Skepsis und Kritik von Seiten der Schulmedizin.

Erfahren Sie im ersten Teil dieses Beitrages alles, was Sie über die Osteopathie wissen müssen.

Im zweiten Teil lesen Sie, wie der Verband der Osteopathen Deutschland e.V. den Boom der Osteopathie und die Kritik an dem Behandlungskonzept bewertet. Zudem beantwortet Verbandsvorsitzende Frau Prof. Marian Fuhrmann M.Sc. (USA) die Frage, worauf Sie achten sollten, wenn Sie mit dem Gedanken spielen, eine Ausbildung zum Osteopathen zu absolvieren.

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Osteopathie


Hier lesen Sie den zweiten Teil: Interview mit Frau Prof. Marina Fuhrmann vom Verband der Osteopathen Deutschland e.V.

Definition: Was ist Osteopathie?

Folgt man zur näheren Definition der Osteopathie allein ihrem Namen, wird man schnell in die Irre geleitet. Denn schulmedizinisch bedeutet Osteopathie Knochenkrankheit. Die Knochen sind zwar ein wichtiges Objekt der Osteopathie, diese Form der Medizin auf die Behandlung von Beschwerden des Skeletts zu reduzieren, wäre jedoch völlig verfehlt.

„Die Wissenschaft der Osteopathie umfasst“, um Rollin E. Becker, einen berühmten Osteopathen des letzten Jahrhunderts zu zitieren, „das Wissen der Philosophie, Anatomie und Physiologie des gesamten Körpers und die klinische Anwendung dieses Wissens – sowohl bei Diagnose als auch bei der Behandlung” [Langer, S. 21].

Harmonie zwischen Körper, Geist und Seele ist eines der vier Grundprinzipien der Osteopathie

Harmonie zwischen Körper, Geist und Seele ist eines der vier Grundprinzipien der Osteopathie, Bild:Cairn Nature Stone Balance von Dinarik, Lizenz: CCO Public Domain.

Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird die Osteopathie heute als Traditionelle Medizin bzw. Komplementärmedizin eingestuft.

Wie die Chiropraktik, so gehört auch die Osteopathie zur Manuellen Medizin (abgeleitet vom lateinischen Wort manus für Hand). In Abgrenzung zu anderen Verfahren manueller Therapien fußt die Osteopathie auf vier Prinzipien, die ihr eigen sind und die für die diagnostische und therapeutische Herangehensweise eine grundlegende Rolle spielen.

Die vier Grundprinzipien der Osteopathie:

  1. Einheit von Körper, Geist und Seele: Die Osteopathie geht von einer grundsätzlichen Einheit von Körper, Geist und Seele aus. Alle drei Bereiche sind untrennbar miteinander verbunden und werden daher stets zusammen behandelt.
  2. Zusammenspiel von Struktur und Funktion: Es existiert ein wechselseitiges Verhältnis zwischen Struktur und Funktion des Körpers. Wie die Struktur die Funktion bedingt, so beeinflusst auch die Funktion die Struktur. Ist eine organische Struktur gestört, erleidet sie auch Störungen ihrer physiologischen Funktion, was sich im klinischen Befund als pathologisch zeigt. Ist demgegenüber zunächst eine einzelne Funktion gestört, kompensiert der Körper diese Störung, bis ihm dies nicht mehr gelingt und sich ein struktureller Schaden manifestiert. Am Ende steht wieder die sichtbare Krankheit.
  3. Leben ist Bewegung: Krankheiten entstehen infolge von Einschränkungen der Bewegung. Bewegung bezieht sich jedoch nicht nur auf die Bewegung der Knochen und Muskeln, sondern umfasst jegliche dem Leben innewohnende Bewegung – sei es die des Blutes, die der Lymphe, oder bspw. die der neuronalen Impulse.
  4. Fähigkeit zur Selbstheilung: Jeder Mensch verfügt über Selbstheilungsmechanismen. Dies sind Prozesse, die den Körper in die Lage versetzen, sich aus einem kranken Zustand selbstständig wieder ins als Gesundheit empfundene Gleichgewicht zu bringen. Selbstheilungskräfte zu aktivieren und zu fördern, ist Kernaufgabe des Osteopathen.

Auf Basis der vier Prinzipien verfolgt die Osteopathie demnach nicht primär das Ziel, Krankheiten symptomorientiert zu behandeln, sondern die Selbstheilungskräfte des Organismus zu aktivieren. Um dies zu erreichen, verfügt die Osteopathie über verschiedene Behandlungsansätze, wobei die sogenannten weichen Techniken die meisten Behandlungskonzepte dominieren. Allen Ansätzen ist gemein, dass zur Heilung ausschließlich die Hände eingesetzt werden.

Osteopathie-Konzept und Theorie der Wirkungsweise

Die Osteopathie geht von der Annahme aus, dass Knochen, Muskeln, Bänder, Organe und Nerven wie in einem großen Netzwerk direkt oder indirekt miteinander verbunden sind und daher in einem mehr oder weniger starken Interdependenzverhältnis zueinander stehen. In der Konsequenz bedeutet dies, dass eine funktionelle Störung in einem Teil des Körpers auf andere Bereiche des Organismus übertragen werden kann, was schließlich auch dort zu Bewegungs- und Funktionseinschränkungen führt.

Dieser Annahme folgend, begreift die Osteopathie Gesundheit als das harmonische Zusammenspiel der einzelnen Bereiche und Ebenen des menschlichen Organismus ohne Bewegungsverluste, funktionelle Einschränkungen und organische Störungen.

Welche Behandlungsansätze gibt es in der Osteopathie?

Die Osteopathie untergliedert sich in drei große Teilbereiche: In den parietalen Bereich, den viszeralen Bereich und in den cranio-sakralen Bereich.

Die parietale Osteopathie

Die parietale Osteopathie konzentriert sich auf die Behandlung des Bewegungsapparates, demnach also speziell auf die Behandlung von Knochen, Gelenken, Bändern, Muskeln und Faszien. Wichtige Techniken zur Behandlung von Dysfunktionen im parietalen Bereich sind die Impulstechnik und die Muskeltechnik.

Die viszerale Osteopathie

Wie bereits aus dem Namen hervorgeht legt die viszerale Osteopathie ihren Schwerpunkt auf die Behandlung der Eingeweide (von lat. viscera für Eingeweide), also auf die in den Körperhöhlen gelegenen inneren Organe und der dazugehörenden Blutgefäße, Lymphbahnen und Nerven. Auch das Stützgewebe wird mitbehandelt. Ziel ist eine Verbesserung der organischen Funktion mittels Verbesserung der arteriellen, venösen, lymphatischen und nervalen Versorgung.

Die cranio-sakrale Osteopathie

Ausgehend von der Annahme, dass sich die rhythmischen Pulsationen der Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit (Liquor cerebrospinalis) auf Knochen und Gewebe übertragen (primärer respiratorischer Mechanismus = PRM), liegt das Ziel der cranio-sakralen Osteopathie (von lat. cranium: Schädel und sacral: das Kreuzbein betreffend) in der positiven Beeinflussung dieses cranio-sakralen Rhythmus, sowie der Reduktion bzw. Lösung von Gewebespannungen.

Von der Befunderhebung zur Therapie: Wie arbeitet die Osteopathie?

Osteopathische Anamnese und Diagnose

Osteopathische Anamnese und Diagnose, Bild: Verband der Osteopathen Deutschland e.V.

Anamnese in der Osteopathie

Ganz im Sinne der vier Osteopathie-Prinzipien betrachtet der Osteopath das Beschwerdebild eines Patienten nicht isoliert und aus einer einzigen Fachrichtung. Die Anamnese – als die Erhebung der Leidensgeschichte eines Patienten – erfolgt vielmehr ganzheitlich und aus verschiedenen Perspektiven.

Bei dieser Form der Befundung legt die Osteopathie besonderes Augenmerk auf bekannte Traumata wie Stürze und Verletzungen, sowie auf Entzündungen und damit einhergehende chronische Erkrankungen. Zusätzlich ist die Kenntnis der allgemeinen persönlichen Lebensumstände des Patienten ein bedeutender Bestandteil der osteopathischen Anamnese. So kann das Wissen um die Ernährungsweise und das soziale Umfeld des Patienten aus osteopathischer Perspektive wichtige Erklärungsansätze für eine Erkrankung sein.

Grundlegende Techniken, Kriterien und Regeln der osteopathischen Diagnostik

Aktive und passive Palpation zum Aufspüren von Dysfunktionen

Eine gute Anamnese ist die Grundlage eines guten Befunds. Nicht minder wichtig ist jedoch die körperliche Untersuchung. Dabei sucht ein Osteopath nach Asymmetrien und somatischen Dysfunktionen (Blockierungen). Hierbei wird sowohl der parietale, der viszerale wie auch der cranio-sakrale Bereich untersucht. Diese Untersuchung, die sogenannte „key lesion”, also die primäre Dysfunktion, sicher aufzufinden und zu behandeln. [Heimann, S. 266]

Um die primäre Dysfunktion aufzuspüren, zu beschreiben und im Kontext des Allgemeinbefindens des Patienten zu bewerten, nutzt ein Osteopath grundsätzlich zwei verschiedene palpatorische Techniken, die aktive Palpation und die passive Palpation. Während der Osteopath mittels der aktiven Palpation direkt auf das Gewebe einwirkt, liegt seine Hand bei der passiven Palpation inaktiv und ruhig auf der Haut auf und sammelt auf diese Weise Informationen des Körpers.

TART-Kriterien zur Präzisierung der osteopathischen Diagnose

Hat der Osteopath eine somatische Dysfunktion palpatorisch aufgespürt, geht es ihm im nächsten Schritt darum, diese in ihrer Eigenart genauer zu beschreiben. Dabei verfährt er zum einen nach den sogenannten vier TART-Kriterien:

T = Tenderness (Schmerzempfindlichkeit)

A = Asymmetrie von knöchernen, muskulären und ligamentären Strukturen

R = Range of Motion (Bewegungsumfang)

T = Tissue Texture Changes (Gewebeveränderungen)

Fryette-Regeln: Diagnose entlang der Wirbelsäule

Zusätzlich zu den vier TART-Kriterien arbeiteten viele Osteopathen auch nach den drei Fryette-Regeln, die von dem amerikanischen Osteopathen Harrison Fryette auf der Basis der physiologischen Bewegung der Wirbelsäule entwickelt wurden:

  1. Fryette-Regel (Typ 1-Mechanik): Bei Neutralstellung der Wirbelsäule verlaufen Seitneigung und Rotation eines Wirbels in entgegengesetzter Richtung. Dies ist die typische Mechanik für Halswirbel 0/1 und Halswirbel 7 bis Lendenwirbel 5.
  2. Fryette-Regel (Typ 2-Mechanik): Sobald sich ein Teil der Wirbelsäule in Hyperflexion oder Extension befindet, erfolgen Rotation und Seitneigung eines Wirbels in die gleiche Richtung. Dies ist die typische Mechanik für die Halswirbel 2 bis 7.
  3. Fryette-regel (Typ 3-Mechanik): Sobald an der Wirbelsäule eine Bewegung in eine Richtung stattfindet, ist die Bewegung in allen anderen Richtungen eingeschränkt.

Osteopathische Behandlungstechniken

Nach erfolgter Befunderhebung steht dem Osteopathen eine Reihe von verschiedenen Behandlungstechniken zur Aktivierung der Selbstheilungskräfte und damit zur Lösung der Dysfunktionen zur Verfügung. Im Folgenden seien vier wichtige Techniken genannt und kurz vorgestellt:

Strain-Counterstrain-Technik

Bei der Strain-Counterstrain-Technik handelt es sich um eine indirekte Weichteiltechnik, welche das Ziel hat, Dysfunktionen und Gewebespannungen über das Aufspüren und Bearbeiten von sogenannten Tenderpunkten zu beseitigen. Dabei werden jeder Dysfunktion bestimmte Punkte zugeordnet, die je nach Beschwerdebild geprüft und gegebenenfalls behandelt werden müssen.

Myofasziale Auflockerungs-Technik

Die Myofasziale Auflockerungs-Technik ist, wie der Name es bereits andeutet, eine indirekte Entspannungstechnik für Bindegewebe, Muskulatur, Faszien und Organe.

Muskel-Energie-Technik

Bei der Muskel-Energie-Technik vollführt der Patient eine willkürliche Muskelkontraktion, wobei deren Richtung vom Therapeuten vorgegeben wird. Der Patient arbeitet dabei gegen den Widerstand des Therapeutengriffs. Folglich kann bei dieser Technik von einer direkten Osteopathie-Technik gesprochen werden. Die dabei entstehende Muskelanspannung wird vom Patienten in der Regel 5-6 Sekunden gehalten.

Viszerale Osteopathie-Techniken

Aus dem Grundkonzept der viszeralen Osteopathie hervorgehend, handelt es sich bei den viszeralen Techniken um zumeist indirekte Techniken zur Behandlung innerer Organe im Zusammenspiel mit deren Faszien und deren Gefäßsystem. Im Zentrum steht die stimulierende Therapie von Arterien, Venen und Lymphgefäßen, sowie die Stimulation des Zwerchfells und des vegetativen Nervensystems. Die unter dieser Therapieform sich versammelnden Techniken werden auch zirkulatorische Techniken genannt.

Zielgruppen: Wem hilft Osteopathie?

Osteopathie in der Schwangerschaft

Osteopathie in der Schwangerschaft, Bild: Verband der Osteopathen Deutschland e.V.

Grundsätzlich gilt, dass der Osteopath keine Krankheitsbilder, sondern den Menschen in seiner Gesamtheit behandelt. Daraus lässt sich ableiten, dass eine osteopathische Behandlung so lange sinnvoll sein kann, solange sich die Selbstheilungskräfte des Organismus aktivieren lassen.

Weiter heißt dies auch, dass sich die Osteopathie keineswegs, wie fälschlicherweise oft angenommen, auf die Behandlung von Beschwerden des Bewegungsapparates beschränkt. Ganz im Gegenteil: Da die Osteopathie mit dem parietalen, dem viszeralen und dem cranio-sakralen Bereich drei verschiedene Zugänge zu Körper, Geist und Seele des Patienten besitzt, können folglich auch positive Effekte auf den gesamten Menschen erzielt werden.

Direkte Kontraindikationen kennt die Osteopathie im Übrigen nicht. Allerdings stellt sie nicht immer die Therapie der ersten Wahl da. So sollte sie bei akuten Entzündungen, Tumorerkrankungen, bei der Nachbehandlung schwerer Unfälle, sowie bei psychiatrischen Erkrankungen lediglich Begleittherapie zur schulmedizinischen Behandlung angesehen werden – daher auch der Begriff der Komplementärmedizin.

Auf Grund der Ganzheitlichkeit der Osteopathie und trotz der Einschränkungen haben sich viele besondere Zielgruppen entwickelt, die besonders von einer osteopathischen Behandlung profitieren können. Viele Osteopathen haben sich sogar auf eine der folgenden Zielgruppen spezialisiert.

Spezielle Zielgruppen der Osteopathie:

  • Osteopathie für Babys und Kinder: Viele Eltern suchen Osteopathen auf, um Entwicklungsstörungen des Bewegungsapparates ihrer Babys und Kinder vorzubeugen.
  • Osteopathie in der Schwangerschaft: Während und nach der Schwangerschaft muss sich die Frau an die Veränderungen des eigenen Körpers anpassen. Nicht selten kommt es in dieser Zeit zu verschiedenen körperlichen Problemen oder sogenannten Senkungsbeschwerden. Durch ihren ganzheitlichen Ansatz soll die Osteopathie laut der Aussage vieler Experten besonders geeignet sein, um die Frau therapeutisch zu begleiten.
  • Osteopathie für ältere Menschen: Osteopathische Behandlungen sollen insbesondere bei älteren Menschen dazu beitragen, die Beweglichkeit zu erhöhen bzw. zu erhalten und typischen Altersbeschwerden vorzubeugen.
  • Sportsosteopathie: Durch die hohe körperliche Belastung sind Sportler schon seit Langem eine wichtige Zielgruppe für Osteopathen. Die sogenannte osteopathische Sportphysiotherapie oder kurz Sportosteopathie (SPO) wird dabei sowohl in der Nachbehandlung von Traumata und Rupturen eingesetzt, als auch in der Rehabilitation und Prävention von Verletzungen. Große Vereine wie der THW Kiel haben sogar bereits Osteopathen eingestellt, die die sportmedizinischen Abteilungen der Vereine unterstützen.
  • Tierosteopathie:  Die Osteopathie findet längst nicht mehr nur beim Menschen Anwendung und so ist Osteopathie für Pferde und Hunde heutzutage nichts Ungewöhnliches mehr. Laut Aussagen der Akademie für Tierheilkunde wächst die Nachfrage nach integrativen und ganzheitlichen Behandlungskonzepten in der Veterinärmedizin seit Jahren und es gibt sogar spezielle Weiterbildungsmöglichkeiten für Tierärzte.

Geschichte der Osteopathie

Andrew Taylor Still: Gründer der Osteopathie

Andrew Taylor Still: Gründer der Osteopathie

Die Osteopathie wurde 1874 von dem amerikanischen Arzt Andrew Taylor Still begründet. Angetrieben von dem Wunsch, als Arzt nicht nur Symptome zu behandeln, sondern auch zu den tieferen Ursachen einer Krankheit vorzudringen, entwickelte Still zunächst ein mechanisches, einem Uhrwerk nicht ganz unähnliches Bild des Körpers.

Sein Ziel: Eine Medizin, die ohne Medikamente auskommt und die Selbstheilungskräfte des Organismus anregt. Da er seine Forschungen zunächst auf die Knochen konzentriert, gibt er dieser neuen Medizin den Namen.

Wie zu erwarten, wird sein fundamental neuer Ansatz von der damaligen Schulmedizin kritisch gesehen. So wird ihm unter anderem an der Baker University verboten, die Osteopathie seinen Studenten näherzubringen.

Ungeachtet dieser Hemmnisse behandelt Still weiter nach der neuen Methode und erzielt damit so große Erfolge, dass er schon bald die American School of Osteopathy gründet – ein wichtiger Schritt zur Verbreitung seiner Medizin, nicht nur in den USA, sondern auch in Europa. Denn einer seiner Studenten an der neu gegründeten Schule wird der Engländer John Martin Littlejohn, ein Physiologe, der, von Still inspiriert, die Osteopathie nach Europa bringt, indem er 1917 in London die British School of Osteopathy gründet.

Verbreitung und Ausdifferenzierung der Osteopathie

Auf der Basis dieser und weiterer Schulgründungen erlebt die Osteopathie in der Folgezeit nicht nur eine schnelle Verbreitung, sondern auch eine weitere Ausdifferenzierung ihrer Grundlagen und Methoden. Denn es sind Studenten wie William Garner Sutherland, die die Osteopathie weiterentwickeln und ihr wichtige Neuerungen wie die cranio-sakrale Osteopathie hinzufügen.

Trotz nicht zu leugnender Erfolge hat es die Osteopathie dennoch in den folgenden Jahrzehnten schwer, sich im Gesundheitswesen zu etablieren. Zu groß sind immer noch die Abweichungen von gängigen Lehrmeinungen, als dass die Skepsis in weiten Teilen der Ärzteschaft auf beiden Seiten des Atlantiks weichen würde.

Marc Twain war ein großer Befürworter der Osteopathie

Marc Twain war ein großer Befürworter der Osteopathie und sorgte ebenfalls dafür, dass sich die Osteopathie immer weiter verbreitete.

Dass sich die Osteopathie dennoch durchsetzen kann und heute in den USA eine anerkannte medizinische Richtung mit eigenen Krankenhäusern und zehntausenden praktizierenden Ärzten darstellt, zeugt von ihrer Heilungskraft und dem Vertrauen, dass die Patienten ihr entgegenbringen.

Aber nicht nur in den USA, sondern auch in Europa erlebt die Osteopathie bei aller Kritik und Skepsis seit vielen Jahren einen regelrechten Boom, der unter anderem auch von der teilweisen Übernahme der Behandlungskosten durch die gesetzlichen Krankenkassen getragen wird. Ärztlicherseits hegt man dagegen allerdings einige Bedenken.

Osteopathie zwischen Kritik und Evidenz

Die maßgeblichen Kriterien, nach denen die Schulmedizin eine neue Behandlungsform bewertet, sind die der Wirksamkeit, Wissenschaftlichkeit und Wirtschaftlichkeit.

Obgleich die Osteopathie dasselbe anatomische und physiologische Grundlagenwissen wie die Schulmedizin nutzt, wird ihre wissenschaftliche Anerkennung nach wie vor diskutiert. Dies liegt vor allem daran, dass einige grundlegende, von der Osteopathie angenommene, physiologische Abläufe wie jener der primären Respirationsbewegung (PRM) von der schulmedizinischen Forschung bisher noch nicht bestätigt werden konnten.

Ähnlich verhält es sich mit dem Nachweis der Wirksamkeit. Obgleich sich die Osteopathie vielfach in der Praxis bewährt hat, fällt ein objektivierter, mit Kontrollgruppen operierender Wirksamkeitsnachweis per definitionem schwer, da eine osteopathische Behandlung individuell ausgerichtet ist und sich weniger auf die Krankheit als vielmehr auf die Selbstheilungskräfte des jeweiligen Menschen konzentriert.

Auch hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit zeigen sich Schwierigkeiten. Denn obwohl eine osteopathische Behandlung ohne Medikamente, Instrumente und Apparate auskommt und ihr präventiver Behandlungsansatz als entlastend für das Gesundheitssystem gewertet werden kann, stellt die vergleichsweise lange Behandlungsdauer von einer Stunde und mehr ein grundlegendes Problem im Praxisalltag eines Schulmediziners dar.

Wirksamkeit der Osteopathie: Trend auf Grund von individueller und wissenschaftlicher Evidenz

Trotz all dieser Kritikpunkte konnte sich die Osteopathie während der vergangenen Jahre mehr und mehr im deutschen Gesundheitswesen etablieren und zeigt sich heute als eine von Patienten häufig genutzte Möglichkeit als alternative Behandlung ihrer Erkrankungen.

Ein Grund dafür mag in dem ganzheitlichen Ansatz der Krankheitsbetrachtung liegen, der in der Ursachenforschung nicht selten zu anderen Ergebnissen kommt als der schulmedizinische Blick und damit zwangsweise auch zu anderen therapeutischen Maßnahmen führt. Des Weiteren hat sich die Osteopathie als in der Praxis wirksame Methode zur sanften Intervention und Regulation herausgestellt, womit sie im Rahmen der Präventivmedizin einen Ansatz zur Stabilisierung und Stärkung des Patienten darstellt.

Auch die wissenschaftliche Evidenz der Wirksamkeit der Osteopathie wird zunehmend erforscht und durch eine Vielzahl von Studien gestützt. So listet die Akademie für Osteopathie (AfO) mittlerweile 160 studienbasierte Beiträge, deren Themenschwerpunkte von anatomischen Untersuchungen einzelner Muskeln und Knochen bis hin zur osteopathischen Behandlung des Reizdarmsyndroms und anderer schwer zu therapierender funktioneller Erkrankungen reichen. Zudem zeigt die Gründung und Etablierung genuin der osteopathischen Forschung vorbehaltener Einrichtungen wie der Osteopathie-Schule Deutschland (OSD), wie groß das Interesse auch seitens der Osteopathie ist, ihre Grundlagen zu verifizieren und auf dieser Basis sich weiter zu entwickeln.

Osteopathie-Boom und die Übernahme der Behandlungskosten durch Krankenkassen

Abbildung von Geld in Bezug auf Krankenkassen

Bild: „How much is it“ von H.S. Lizenz: CC BY-SA 2.0

Seit 2012 werden osteopathische Behandlungen auch von den gesetzlichen Krankenkassen teilweise übernommen. Diese Teilübernahme der Kosten führte in den vergangenen Jahren zu einem regelrechten Osteopathie-Boom – unter anderem abzulesen, an den allein im Jahr 2013 um das dreifache gestiegenen Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen für osteopathische Behandlungen.

Allerdings wird die Erstattung der Kosten sehr verschieden geregelt und hängt zudem von den einzelnen Sachbearbeitern innerhalb einer Kasse ab. Ebenfalls ein wichtiges Kriterium der Kostenerstattung ist der Ausbildungsgrad des jeweiligen Osteopathen. So erstatten manche Kassen nur Leistungen von Osteopathen mit abgeschlossener Ausbildung (ca. 1350 Stunden). Andere wiederum erstatten bereits ab einem Ausbildungsumfang von 800 Stunden.

Des Weiteren zeigt sich anhand der von einigen Kassen Anfang 2015 vorgenommenen Kürzungen in der Kostenübernahme eine gewisse Trend-Umkehr. Diese erklärt sich allerdings weniger durch die immer wieder in Frage gestellte Wirksamkeit der Osteopathie, sondern vielmehr durch die unerwartet hohe Inanspruchnahme der osteopathischen Behandlung.

2013 gab die Techniker-Krankenkasse, Deutschlands größte Krankenkasse, über 60 Millionen Euro für Osteopathie aus. Zur Minimierung dieser Kosten entschied sie sich, die pauschale Kostenübernahme pro Patient von 360 Euro auf 120 Euro zu senken. Andere Kassen taten es ihr gleich.

Welche gesetzlichen Krankenkassen anteilig Behandlungskosten für Osteopathie erstatten und wie hoch dieser zurzeit Anteil ist, kann man unter anderem auf der Webseite des Bundesverbands Osteopathie e.V. erfahren.

Osteopathie-Ausbildung: Wie wird man Osteopath?

Der Beruf des Osteopathen ist nicht durch ein staatliches Berufsbild gestützt. Daher fehlen somit auch klar formulierte, über einzelne Institutionen hinausgehende Standards in der Osteopathie-Ausbildung. Umso wichtiger ist es deshalb, bei der Wahl der Ausbildungs- oder Studienstätte sich zuvor gut über das Curriculum des jeweiligen Instituts zu informieren.

Grundsätzlich gilt: Wer in Deutschland die Osteopathie uneingeschränkt und selbstständig anbieten will, muss eine ärztliche Approbation oder die Heilpraktikererlaubnis besitzen. Während die Approbation ein Medizinstudium benötigt, kann die Heilpraktikererlaubnis durch die erfolgreiche Absolvierung der Heilpraktikerprüfung beim zuständigen Gesundheitsamt erworben werden. Alternativ zu dem Besuch klassischer Heilpraktiker-Schulen haben sich Online-Kurse als effiziente Alternative bewehrt, die die Osteopathie-Ausbildung, um das für die Heilpraktikerprüfung notwendige Wissen ergänzen. Mehr Informationen finden sich auf unserer Kurs- und Ratgeber-Seite zur Online-Heilpraktiker-Ausbildung.

Osteopathie-Schulen

Die Approbation oder eine erfolgreich bestandene Heilpraktikerprüfung stellen die rechtliche Basis dar, um als Osteopath tätig zu sein. Physiotherapeuten können ebenfalls Osteopathie anbieten, aber nur auf Anweisung eines Arztes oder Heilpraktikers. Es stellt sich jedoch die Frage, wie das fachspezifisch-osteopathische Wissen erworben werden kann. Hierfür bieten eine Reihe von Einrichtungen verschiedenste Ausbildungsvarianten an, die sowohl in Teil- als auch in Vollzeit absolviert werden können.

Die von Osteopathie-Schulen angebotene Teilzeit-Ausbildung beträgt dabei mindestens vier Jahre und bedarf einer zu absolvierenden Unterrichtsstundenzahl von 1350 Einheiten. Die Vollzeit-Ausbildung ist wesentlich umfangreicher und lohnt sich vor allem für Menschen mit geringeren medizinsichen Vorkenntnissen. 5000 Unterrichtseinheiten müssen bei der Vollzeit-Osteopathie-Ausbildung in fünf Jahren absolviert werden. Damit ist diese Art der Ausbildung die derzeit fundierteste osteopathische Ausbildung in Deutschland. Um sicher zu gehen, dass die Ausbildung den allgemeinen und den eigenen Ansprüchen auch genügt, sollten sich potentielle Osteopathen in jedem Fall vorab genau informieren.

Osteopathie-Studium

Neben der Osteopathie-Ausbildung bestehen in Deutschland auch einige Osteopathie-Studiengänge. Auch hier lässt sich ein gewisser Trend ausmachen. Ähnlich wie in den USA – dem Mutterland der Osteopathie – akademisiert sich auch in Deutschland die Ausbildung. Derzeit kann man an einigen Fach-Hochschulen und Akademien sowohl ein Bachelor- als auch Masterstudium in der Osteopathie absolvieren.

Genau wie bei der Osteopathie-Ausbildung, sollten sich auch Studieninteressierte im Vorhinein gut informieren, denn nicht alle Hochschulen und Studiengänge sind staatlich anerkannt und akkreditiert. Zusätzlich sei nochmals darauf hingewiesen, dass selbst ein Osteopathie-Studium nicht eine Approbation oder eine erfolgreich absolvierte Heilpraktikerprüfung ersetzt, um uneingeschränkt als Osteopath tätig zu sein. Auch Physiotherapeuten dürfen zwar osteopathische Behandlungen anbieten, jedoch nur auf Anweisung eines Arztes oder Heilpraktikers.

Berufsbild des Osteopathen

Obwohl es seitens der deutschen Osteopathen-Verbände immer wieder Bestrebungen gibt, den Beruf des Osteopathen als eigenständiges Berufsbild in Deutschland anerkennen zu lassen, zeichnet sich derzeit kein erkennbarer politischer und schulmedizinischer Wille ab, dies umzusetzen. Daher besitzt der Osteopath in Deutschland zurzeit kein eigenes Diagnoserecht und eine Osteopathie-Ausbildung muss durch die ärztliche Approbation oder die Heilpraktikererlaubnis ergänzt werden.

Neben den Informationen auf unserer Kurs- und Ratgeber-Seite zur Online-Heilpraktiker-Ausbildung finden Sie weitere Informationen zur Heilpraktikererlaubnis in unserem kostenlosen eBook zur erfolgreichen Eröffnung einer Heilpraktiker-Praxis.

Teil 2: Interview mit Frau Prof. Marina Fuhrmann vom Verband der Osteopathen Deutschland e.V.

Zudem erfahren Sie m Interview mit Frau Prof. Maria Fuhrmann vom Verband der Osteopathen Deutschland e.V. (VOD) auf Seite 2 dieses Beitrags, wie der VOD die Entwicklung der Osteopathie in Deutschland bewertet und worauf Sie bei Ausbildung besonderen Wert legen sollten.

Hier geht es zum zweiten Teil unseres Osteopathie-Beitrags inklusive Interview.

Hilfreiche Links

Verband der Osteopathen Deutschland e.V. (VOD): www.osteopathie.de

Deutsche Gesellschaft für Manuelle Medizin (DGMM e.V.): www.dgmm.de

Deutsch-Amerikanische Akademie für Osteopathie (DAAO): www.daao.info

Quellen

Heimann, Dieter; Lawall, Jürgen: Leitfaden Manuelle Medizin, 4.Auflage.

Langer, Werner; Hebgen, Eric: Lehrbuch Osteopathie, Stuttgart 2013.

Newiger, Christoph: Osteopathie, Stuttgart 1998.

Liem, Torsten; Tsolodimos, Christine: Osteopathie, Stuttgart 2013.



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2 Gedanken zu „Osteopathie – Definition, Techniken, Ausbildung & Interview

  • Matthias

    Interessanter und ausführlicher Artikel, danke!

    Beim ersten der vier Grundprinzipien der Osteopathie wird von „Einheit von Körper, Geist und Seele“ gesprochen. Wie sind Geist und Seele definiert und wie unterscheiden sich beide?

    1. Till Vennemann

      Hallo Matthias,

      erst einmal vielen Dank für das Lob. Wir freuen uns, dass Ihnen der Osteopathie-Beitrag gefällt.

      Nun zu Ihrer Frage:

      Geist und Seele haben in verschiedenen Wissensgebieten oft eine ganz unterschiedliche Bedeutung. Zeitgleich werden Sie im allgemeinen Sprachgebrauch oft auch synonym gebraucht. Die Osteopathie folgt im weitesten Sinne den Definitionen der klassischen Psychologie. Hiernach steht „Geist“ für das Denken und die rationale Entscheidungskraft des Menschen, während „Seele“ das Gesamtsystem aller Regungen und Erfahrungen umfasst. Will man diese Definitionen vereinfacht ausdrücken, kann man sagen, dass „Geist“ in der Osteopathie das Bewusstsein und „Seele“ das Unterbewusstsein eines Menschen beschreibt. Dies ist in der Osteopathie deshalb so wichtig, da das osteopathische Konzept Leiden des Körpers, Geistes oder Seele nicht nur durch Dysfunktionalitäten der jeweiligen Teilsysteme erklärt, sondern starke Interdependenzen angenommen werden. So können körperliche Leiden in seelischen Problemen enden oder seelische Probleme können die Ursache von physiologischen Problemen sein.

      Ich hoffe diese Antwort hilft Ihnen weiter und sollten Sie weitere Fragen haben, können Sie diese natürlich jederzeit stellen.

      Beste Grüße,

      Till Vennemann