Hüftreifungsstörung und Hüftdysplasie

Die Hüftreifungsstörung bezieht sich auf eine Reihe von Erkrankungen des Hüftgelenks, die durch eine Hüftinstabilität gekennzeichnet sind und in den ersten Lebensmonaten auftreten. Hüftreifungsstörungen werden weiter in Hüftdysplasie, Subluxation oder Dislokation unterteilt. Standardmäßig wird in Vorsorgeuntersuchungen auf eine mögliche Hüftdysplasie geachtet und ein Screening mittels Hüftultraschall zur U3 empfohlen. Eine Behandlung ist unerlässlich, um Komplikationen wie avaskuläre Nekrose Avaskuläre Nekrose Hüftgelenksnahe Femurfrakturen des Hüftkopfes oder Hüftgelenksarthrose zu vermeiden. Die Behandlung hängt vom Schweregrad und vom Alter ab, wobei Säuglinge häufig mit Pavlik-Orthesen behandelt werden und Kinder > 6 Monate häufig eine offene oder geschlossene chirurgische Reposition benötigen.

Aktualisiert: 21.02.2023

Redaktionelle Verantwortung: Stanley Oiseth, Lindsay Jones, Evelin Maza

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Überblick

Definitionen

  • Hüftreifungsstörung: ein Spektrum von Entwicklungsstörungen des Acetabulums und des proximalen Caput femoris und dadurch Instabilität des Hüftgelenks (auch als kongenitale Hüftdysplasie bezeichnet)
  • Hüftdysplasie: Dysplasie des Acetabulums und Caput femoris ohne Luxation des Hüftgelenks
  • Subluxation: teilweiser Verlust des Kontakts zwischen dem Caput femoris und dem Acetabulum
  • Dislokation: vollständiger Verlust des Kontakts

Klassifikation

  • Typisch: Hüftdysplasie bei ansonsten gesunden Kindern (häufigste Form)
  • Teratologisch: Hüftdysplasie mit identifizierbarer Ursache (z.B. Arthrogrypose, genetische Syndrome wie das Down-Syndrom Down-Syndrom Down-Syndrom (Trisomie 21))
  • Neuromuskulär: Hüftdysplasie aufgrund von Schwäche oder Spastizität in den Muskelgruppen der unteren Extremitäten (z.B. Spina bifida oder zerebrale Lähmung)

Epidemiologie

  • Häufigste muskulo-skelettale Erkrankung im Neugeborenenalter in Mitteleuropa
  • Inzidenz in Mitteleuropa:
    • Hüftdysplasie 2–4 %
    • Hüftluxation 0,5–1 %
  • 80 % der Fälle Mädchen
  • 63 % der Fälle unilateral, häufiger linke Hüfte betroffen
  • Prävalenz der leichten Hüftinstabilität bei bis zu 40 % der Neugeborenen; in der Regel selbst limitierend

Risikofaktoren

Normales Hüftgelenk vs. DDH

Normales Hüftgelenk und Hüftgelenke mit fortschreitend schwerer Hüftluxation

Bild von Lecturio.

Ätiologie und Pathophysiologie

Ätiologie

Die Hüftreifungsstörung wird durch eine unzureichende Reposition des Hüftkopfes im Acetabulum verursacht. Dies kann durch verschiedene Faktoren bedingt sein:

Pathophysiologie

Die normale Entwicklung der Hüfte hängt vom Kontakt zwischen Acetabulum und Caput femoris ab. Bei Hüftreifungsstörung:

  • Unterbrochener Kontakt zwischen Acetabulum und Caput femoris
  • Physiologische Tiefenausbreitung des Acetabulums durch den Caput femoris → unterbrochener Kontakt → Abflachung des Acetabulums
  • Flaches Acetabulum → geringere Abdeckung des Caput femoris → Hüftinstabilität

Klinik

  • Abhängig von dem Alter des Kindes und dem Schweregrad der Erkrankung
  • Daher routinemäßige Untersuchung der Hüfte bei allen Vorsorgeuntersuchungen bis zum Alter von 9 Monaten empfohlenHüftsonografie nach Graf zur U3
  • Progression der Hüftreifungsstörung im zeitlichen Verlauf → veränderte und schwerwiegendere Manifestation
Tabelle: Wichtigste klinische Untersuchungsergebnisse nach Altersgruppen
Neugeborene im Alter von 0–2 Monaten Hüftinstabilität
Kinder im Alter von 2–3 Monaten
  • Eingeschränkte Abduktion der Hüfte (< 45°)
  • Offensichtliche Verkürzung der unteren Gliedmaßen (Oberschenkellängen-Diskrepanz)
Kinder im Laufalter
  • Asymmetrie des Gangs oder Hinken
  • Übermäßige Lendenlordose

Diagnostik

Die Diagnose einer Hüftreifungsstörung wird klinisch gestellt, indem eine Hüftinstabilität, Asymmetrie und eine eingeschränkte Abduktion (Abspreizhemmung) der Hüfte nachgewiesen werden.

Körperliche Untersuchung

Es wurden spezielle Tests entwickelt, um die Struktur des Hüftgelenks, den Bewegungsumfang und die Kraft zu beurteilen. Die Entscheidung, welche davon eingesetzt werden, ist altersabhängig.

Neugeborene im Alter von 0–2 Monaten

  • Ortolani-Manöver (Reposition von in Ruhe ausgerenkten Hüften)
    • Hohe Falsch-positiv-Rate, insbesondere bei jüngeren Kindern
    • Prävalenz der leichten Hüftinstabilität bei bis zu 40 % der Neugeborenen
    • Abfolge:
      1. Kind in Rückenlage auf einer stabilen Unterlage
      2. Ergreifen des Oberschenkels des Kindes mit Daumen und Zeigefinger
      3. Bewegung der Hüfte aus Adduktionsstellung in Abduktion unter Vorschieben des Trochanter major
      4. Positiv bei „Hüftknacken“ = Geräusch oder Empfindung des Zurückgleitens des Caput femoris in das Acetabulum
  • Barlow-Manöver (Dislokation der Hüfte in Ruhestellung)
    1. Kind in Rückenlage auf einer stabilen Unterlage
    2. Ergreifen des Oberschenkels des Kindes mit Daumen und Zeigefinger
    3. Adduktion der Hüfte
    4. Ertasten des Caput femoris auf mögliche Luxation aus dem Acetabulum
    5. Positiv bei Herausgleiten des Caput femoris nach hinten aus dem Acetabulum → tastbares „Knacken“ oder Subluxation

Kinder im Alter von 2–3 Monaten

  • Galeazzi-Test
    1. Kind in Rückenlage mit Beugung der Hüfte auf 45° und des Knies auf 90°
    2. Aufstellen der Füße flach und waagerecht nebeneinander auf eine Unterlage
    3. Positiv bei niedriger Stellung des einen Knies gegenüber dem andern → durch Rückverlagerung des Femurs am Hüftgelenk Hüftgelenk Anatomie des Hüftgelenks (Articulatio coxae) und dadurch Verkürzung des Femurs
    4. Wichtig: Ein positiver Test = Hinweis auf Beinlängendiskrepanz und nicht spezifisch für Hüftreifungsstörungen
  • Klisic-Test
    1. Auflegen eines Fingers auf den Trochanter major und eines Fingers der gleichen Hand Hand Hand auf die Spina iliaca anterior-superior
    2. Bildung einer Linie durch die Spitzen beider Finger
    3. Bei Linienverlauf durch oder über den Nabel → normale Hüftgelenksstellung
    4. Linie unterhalb des Nabels → verschobene Hüfte

Kinder im Laufalter

  • Trendelenburg-Zeichen
    • Stand auf ipsilateralen Bein → Abkippen des Beckens aus der Horizontalen
    • Hinweis auf eine Schwäche der Hüftabduktoren

Bildgebung

Bei Kindern mit Risikofaktoren und Verdacht auf Hüftdislokation bei U2, Routinevorsorgeuntersuchung für alle Kinder zum Zeitpunkt der U3

  • Hüft-Ultraschall nach Graf:
    • Nützlich als Ergänzung zur körperlichen Untersuchung bis zum Alter von 4-6 Monaten
    • Geringe Spezifität, in der Regel bedienerabhängig
  • Röntgenaufnahme der Hüfte: im Alter von 4-6 Monaten mit Beginn der Verknöcherung der Hüftpfanne und des Hüftkopfes
DDH-Hüft-Ultraschallfenster

Zeitfenster für einen optimalen Hüftultraschall

Bild von Lecturio.

Therapie

Wichtigste Ziele

  • Erreichen und Aufrechterhalten einer konzentrischen Reposition des Caput femoris im Acetabulum
  • Optimales Wachstum und optimale Entwicklung des Hüftgelenks
  • Vermeidung von Komplikationen, insbesondere der avaskulären Nekrose

Therapie je nach Altersgruppen

Neugeborene im Alter von 0-4 Wochen
  • Hüftinstabilität und -laxität auch als Normbefunde möglich, daher Beobachtung
  • Jede Ultraschalluntersuchung mit abnormalen Befunden, Kontrolle nach 6 Wochen
Kleinkinder im Alter von 4 Wochen bis 6 Monaten
  • Häufig Beobachtung und Neubewertung alle 4-6 Wochen
  • Bei anhaltenden Symptomen Pavlik-Bandage: Behandlung für 2-3 Monate, bis Hüftstabilität in körperlicher Untersuchung oder Ultraschall Ultraschall Ultraschall (Sonographie) nachgewiesen
Kleinkinder im Alter von 6 Monaten bis 2 Jahren
  • Versuch einer geschlossenen Reposition
  • Bei Scheitern der geschlossenen Reposition, offene Reposition erforderlich
  • Bei beiden Verfahren postoperative Anlage eines Becken-Bein-Gips
Kinder im Alter von 2–6 Jahren In der Regel offene Repositionen/Korrekturen erforderlich
Pavlik-Gurtzeug

Pavlik-Orthese

Bild von Lecturio.

Komplikationen

  • Wichtigste Komplikation: avaskuläre Nekrose Avaskuläre Nekrose Hüftgelenksnahe Femurfrakturen der Oberschenkelepiphyse (orthopädischer Notfall!)
  • Osteoarthrose:
    • Durch einen fortschreitenden Schwund des Gelenkknorpels und der umgebenden Gelenkstrukturen
    • Höheres Risiko bei Patient*innen mit Hüftreifungsstörungen
  • Schmerz
  • Abnormaler Gang
  • Eingeschränkte Mobilität
  • Redislokation
  • Residuale Subluxation
  • Dysplasie des Acetabulums

Prognose

  • Nach Reposition im frühen Kindesalter optimales Entwicklungspotenzial des Acetabulums
    • Je früher die Behandlung, desto besser die Prognose
    • 95 % erfolgreiche Relokationen nach Behandlung mit Pavlik-Orthesen
  • Spontane Rückbildung von 90 % der Fälle von leichter Instabilität/Dysplasie zwischen dem 2. und 6. Lebensjahr

Differentialdiagnosen

  • Transiente Synovitis („Hüftschnupfen“): vorübergehende Entzündung Entzündung Entzündung des Hüftgelenks, die durch eingeschränkte Beweglichkeit und Schmerzen gekennzeichnet ist. Magnetresonanztomographie Magnetresonanztomographie Magnetresonanztomographie (MRT) ( MRT MRT Magnetresonanztomographie (MRT)) oder Ultraschall Ultraschall Ultraschall (Sonographie) zeigen Ergüsse im Hüftgelenk Hüftgelenk Anatomie des Hüftgelenks (Articulatio coxae). Die Behandlung erfolgt konservativ, mit Ruhe und ausschließlich nichtsteroidalen Antirheumatika (NSARs). Im Gegensatz zur Hüftdysplasie tritt die transiente Synovitis später im Kindesalter auf und hat in der Regel ein infektiöses Prodromal.
  • Septische Arthritis Septische Arthritis Septische Arthritis: eine Infektion des Gelenks, die eine akute, asymmetrische Arthritis verursacht. Meistens verursacht durch hämatogene Ausbreitung, direkte Inokulation durch medizinische Verfahren oder Trauma. Säuglinge zeigen hohes Fieber Fieber Fieber und Schonung des betroffenen Gelenks. Die Diagnose erfolgt durch ultraschallgesteuerte Nadelaspiration, die auch die Behandlung der Wahl ist.
  • Epiphysiolysis capitis femoris: eine orthopädische Erkrankung im Kindesalter, die durch ein pathologisches „Abrutschen“ des Oberschenkelkopfes gekennzeichnet ist. Zu den Risikofaktoren gehören Adipositas Adipositas Adipositas, Traumata und genetische Veranlagung. Die Patient*innen zeigen Veränderungen im Gang und Schmerzen in der Hüfte, im Knie oder in der Leiste, die sich bei Aktivität verschlimmern. Röntgenbilder bestätigen die Diagnose. Die Behandlung erfolgt chirurgisch.
  • Morbus Perthes Morbus Perthes Morbus Perthes: ein Syndrom ungeklärter Ätiologie, das durch eine idiopathische avaskuläre Nekrose Avaskuläre Nekrose Hüftgelenksnahe Femurfrakturen des Oberschenkelkopfes gekennzeichnet ist. Die Betroffenen stellen sich mit progressiven Hüftschmerzen und Hinken vor. Die Diagnose erfolgt durch bildgebende Verfahren, einschließlich Röntgen Röntgen Röntgen und MRT MRT Magnetresonanztomographie (MRT). Die Behandlung ist konservativ und kann in schweren Fällen auch operativ erfolgen.

Quellen

  1. Sankar, W. N., Winell, J. J., Horn, B. D., & Wells, L. (2020). Die Hüfte. In R. M. Kliegman MD, J. W. St Geme MD, N. J. Blum MD, Shah, Samir S., MD, MSCE, Tasker, Robert C., MBBS, MD & Wilson, Karen M., MD, MPH (Eds.), Nelson textbook of pediatrics (pp. 362-3633.e1). https://www.clinicalkey.es/#!/content/3-s2.0-B9780323529501006982
  2. Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) – Ständige Kommission Leitlinien. (S2k) Leitlinie „Hüftdysplasie“. AWMF-Registriernummer 033-033. https://register.awmf.org/assets/guidelines/033-033l_S2k_Hueftdysplasie_2021-12_01.pdf (Zugriff am 25.1.2023)
  3. Niethard F.U. (2009) Kinderorthopädie. Thieme Verlag KG, Stuttgart. Print ISBN: 9783131065926; Online ISBN: 9783131853523; Book DOI: 10.1055/b-001-1074
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