Anpassungsstörung

Eine Anpassungsstörung ist definiert als eine psychologische und körperliche Reaktion, als Folge einer gestörten Adaptation auf ein belastendes Lebensereignis. Diese Störung entwickelt sich meist innerhalb von 3 Monaten nach dem Ereignis und dauert häufig nicht länger als 6 Monate an. Die Pathogenese einer Anpassungsstörung ist abhängig von mehreren Faktoren, wie die individuelle Vulnerabilität, die Persönlichkeit oder das belastende Ereignis selbst. Die Symptome ähneln anderen psychiatrischen Erkrankungen: Angst, depressive Stimmung, Schlafstörungen oder ein gestörtes Sozialverhalten. Die Anpassungsstörung ist eine Ausschlussdiagnose, was bedeutet, dass sie nicht diagnostiziert wird, wenn die Patient*innen die Kriterien für eine andere psychiatrische Störung erfüllen oder wenn ihre Symptome besser durch einen Substanzmittelkonsum oder einen Entzug erklärt werden können. In der ICD-11 gilt die Anpassungsstörung inzwischen als vollwertige Diagnose. Therapie der ersten Wahl ist die Psychotherapie Psychotherapie Psychotherapie. Zur Behandlung der komorbiden Symptome kann eine pharmakologische Therapie erfolgen.

Aktualisiert: 01.06.2023

Redaktionelle Verantwortung: Stanley Oiseth, Lindsay Jones, Evelin Maza

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Überblick

Definition

Eine Anpassungsstörung ist eine psychische und körperliche Reaktion (Gefühl der Traurigkeit oder Hoffnungslosigkeit, Stressreaktion und bestimmte körperliche Symptome) auf ein belastendes Lebensereignis von nicht außergewöhnlichem Ausmaß (Tod eines geliebten Menschen, Scheidung, Veränderungen im Leben, Krankheit, familiäre Probleme, Schulprobleme oder sexuelle Probleme).

Eine Anpassungsstörung entsteht als Folge einer gestörten Adaptation, als Reaktion auf bestimmte Belastungsfaktoren wie einem belastenden Lebensereignis. Die Patient*innen leiden unter subjektiven und emotionalen Beeinträchtigungen und werden dadurch in ihrem alltäglichen und sozialen Leben eingeschränkt.

Epidemiologie

  • Lebenszeitprävalenz: etwa 2–8 % der Allgemeinbevölkerung.
    • Die genaue Lebenszeitprävalenz kann nicht genau abgeschätzt werden, da sie abhängig ist von der Häufigkeit körperlich/psychisch belastender Ereignisse.
    • In psychiatrischen Kliniken: ca. 5–20 %
  • Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer.
  • Eine der häufigsten psychiatrischen Diagnosen bei Patient*innen, die aus anderen medizinischen/chirurgischen Gründen ins Krankenhaus eingeliefert werden.

Ätiologie

  • Entstehung durch ein Zusammenspiel von ein oder mehreren Faktoren (z. B.):
    • Individuelle Vulnerabilität oder Prädisposition
    • Das belastende Ereignis selbst
    • Persönlichkeitseigenschaften der Patient*innen.
  • Die Schwere des Ereignisses hat keinen Einfluss auf die Prognose.
  • Die Persönlichkeit des Betroffenen und die gesellschaftlichen Normen tragen zu den pathologischen Reaktionen auf die Stressoren bei.
  • Es ist davon auszugehen, dass das Krankheitsbild ohne das belastende Ereignis nicht entstanden wäre.

Diagnostik

Eine Anpassungsstörung ist schwer zu diagnostizieren, da sie die gleichen Symptome wie andere psychische Störungen aufweist.

Mögliche Symptome:

  • Angst oder Sorge
  • Depressive Stimmung
  • Gestörtes Sozialverhalten
  • Gefühle der Hilflosigkeit und Sorge bei der Bewältigung von alltäglichen Situationen
  • Anspannung
  • Schlafstörungen

Anamnese und körperliche Untersuchung ergeben folgende Kriterien:

  • Entwicklung von psychologischen Symptomen als Reaktion auf ein identifizierbares Ereignis
  • Auftreten innerhalb von 3 Monaten (meist im 1. Monat) nach dem Auftreten des Ereignisses
  • Die Anpassungsstörung dauert meist nicht länger als 6 Monate an.
  • Die Symptome oder Verhaltensweisen sind klinisch signifikant und verursachen ein ausgeprägtes Leiden und eine Funktionseinschränkung bei den Patient*innen.

Eine Anpassungsstörung kann nicht diagnostiziert werden, wenn die vorliegenden Symptome:

  • Die Kriterien einer anderen psychiatrischen Störung erfüllen.
  • Durch eine Störung des Substanzmittelkonsums oder einen Entzug erklärt werden.
  • Über 6 Monate nach dem belastenden Ereignis anhalten.
  • Keine Verschlechterung der Funktionsfähigkeit der Patient*innen und kein ausgeprägtes Leiden verursachen.
  • Einen normalen Trauerfall darstellen.

Diagnostik anhand von ICD-10 und ICD-11

Kriterien der ICD-10

  • Kriterium A: Beginn der Symptomatik < 1 Monat nach einem belastenden Ereignis
  • Kriterium B: Vorhandensein einer Symptomatik und Störungen des Verhaltens
  • Kriterium C: Dauer von < 6 Monaten nach auslösendem Ereignis

Kriterien der ICD-11

In der ICD-11 zählt die Anpassungsstörung als vollwertige Diagnose (dies war vorher nicht der Fall). Außerdem soll die klinische Nützlichkeit und eine einfachere Konzeptualisierung ermöglicht werden.

  • Kernsymptom: Präokkupationen (Die Betroffenen kommen gedanklich nicht von dem belastenden Ereignis los und beschäftigen sich stark mit dem auslösenden Stressor.)
  • Anspassungsschwierigkeiten (maladaptive Reaktion auf ein bestimmtes Ereignis)
  • Interessensverlust
  • Dauer: maximal 6 Monate (außer das auslösende Ereignis dauert länger an)
  • Unterschiedliche Manifestation einer Anpassungsstörung je nach Lebensabschnitt

Therapie

Psychotherapie Psychotherapie Psychotherapie

  • Therapie der 1. Wahl
  • Verschiedene Methoden, wie z. B. die kognitive Verhaltenstherapie Kognitive Verhaltenstherapie Psychotherapie (KVT), unterstützende Gespräche, psychodynamische Verfahren können den Patient*innen helfen, die Stresssituationen zu bewältigen.
  • Eine Gruppentherapie kann nützlich sein, vor allem bei Patient*innen, die ähnlichen Stresssituationen ausgesetzt sind.

Krisenintervention

Eine Krisenintervention kann dazu beitragen, rechtzeitig für Beruhigung und Unterstützung zu sorgen, um ein unerwartetes Ereignis zu verhindern.

Pharmakotherapie

Differentialdiagnosen

  • Akute Belastungsstörung: Stressreaktionen, die auftreten, nachdem eine Person ein lebensbedrohliches Ereignis erlebt hat. Die Symptome dauern maximal 3 Tage an und manifestieren sich direkt nach der Exposition gegenüber eines belastenden Ereignisses. Es kommt zu Bewusstseinseinengungen, Gefühlen der „Taubheit“, dissoziativen Symptomen, das Vermeiden von Erinnerungen, Reizbarkeit, Hyperarousal sowie Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen. Das traumatische Ereignis muss innerhalb eines Monats eingetreten sein und < 1 Monat angedauert haben.
  • Trauer: Gefühle oder Gedanken und Handlungen als Reaktion auf den Tod einer nahestehenden Person. Die Dauer und die Form des Ausdrucks variieren je nach Kultur und Gewohnheiten des Betroffenen. Es ist mit einer gedrückten Stimmung und einem Gefühl des Verlustes zu rechnen. Anders als bei einer Anpassungsstörung verursacht ein Trauerfall keine signifikante Beeinträchtigung der Funktionen. Trauer ist nicht pathologisch.
  • Generalisierte Angststörung Generalisierte Angststörung Generalisierte Angststörung (GAS) (Englisches Akronym: generalized anxiety disorder (GAD)): eine psychiatrische Störung, die durch chronische Angst gekennzeichnet ist, in der Regel über Dinge, die nicht wichtig sind. Assoziiert mit Müdigkeit, Konzentrationsschwäche, Unruhe, Reizbarkeit und Schlafstörungen. Diese Symptome dauern > 6 Monate an. Anders als bei der Anpassungsstörung ist für die Diagnose der GAS kein auslösendes Ereignis erforderlich, das die Symptomatik verursacht.

Quellen

  1. Sadock BJ, Sadock VA, Ruiz P. (2014). Kaplan and Sadock’s synopsis of psychiatry: Behavioral sciences/clinical psychiatry (11. Auflage).Kapitel 11, Trauma and stressor-related disorders, S. 446–450. Philadelphia, PA: Lippincott Williams and Wilkins.
  2. Zelviene P, Kazlauskas E. (2018). Adjustment disorder: current perspectives. Neuropsychiatr Dis Treat. 14:375-381. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5790100/ 
  3. O’Donnell ML, Agathos JA, Metcalf O, Gibson K, Lau W. (2019). Adjustment Disorder: Current Developments and Future Directions. Int J Environ Res Public Health. 16(14):2537. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6678970/
  4. Hans-Jürgen Möller, Gerd Laux, Arno Deister. Duale Reihe Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. 6. Auflage. Thieme Verlag. 2015.
  5. ICD-10-GM-2022. F00-F99. F40-F48. F43. F43 Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen. F43.2 Anpassungsstörungen. https://www.icd-code.de/icd/code/F43.2.html (Zugriff am 16.107.2022)
  6. Maercker A., Eberle D. J. Karger. (202). Was bringt die ICD-11 im Bereich der trauma- und belastungsbezogenen Diagnosen? https://www.karger.com/Article/FullText/524958 (Zugriff am 13.11.2022)
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