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Anämie

Definition Anämie

auch bekannt als: Blutarmut

Eine Anämie liegt vor, wenn die Zahl der roten Blutkörperchen (Erythrozyten) oder die Menge des darin enthaltenen Blutfarbstoffs (Hämoglobin) vermindert ist. Die Erythrozyten haben die wichtige Aufgabe des Sauerstofftransportes, sodass bei Blutarmut die einzelnen Organe unter der ungenügenden Sauerstoffzufuhr leiden.

Allgemeine Anzeichen einer Anämie sind: Blässe der Haut und der Schleimhäute: schneller Puls und Atemnot (besonders bei körperlicher Belastung); Ohrensausen, Schwindelgefühl (besonders beim raschen Lagewechsel); rasche Ermüdbarkeit; Kälteempfindlichkeit.

Die Anämien werden in 4 große Gruppen eingeteilt:

    1. Anämien durch Verlust von Erythrozyten;

    2. Anämien durch verminderte Erythrozytenproduktion;

    3. Anämien durch gesteigerten Erythrozytenabbau;

    4. Anämien durch gleichzeitige Störung von Produktion und Abbau der Erythrozyten.

Die Anämien durch Verlust von Erythrozyten entstehen infolge akuter oder chronischer Blutungen. Ein akuter Blutverlust kommt bei Verletzungen, Operationen, Gefäßrissen (Aneurysma), Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüren, Eileiterschwangerschaft usw. vor. Das Schicksal der Patienten hängt in erster Linie von Ausmaß und Geschwindigkeit der Blutung ab. Ein plötzlicher Blutverlust von 1500-2000 ml kann tödlich sein, während der langsame Verlust der gleichen Blutmenge über einen Zeitraum von 1-2 Tagen oder noch länger in der Regel überlebt wird. Blutungen bis zu einem halben Liter - das ist die Blutmenge, die beim Blutspenden entnommen wird - verursachen im Allgemeinen keine Erscheinungen.

Bei chronischen Blutverlusten handelt es sich zumeist um unbemerkte Sickerblutungen (z. B. im Bereich des Magen-Darm-Kanals oder der weiblichen Geschlechtsorgane); dadurch wird der Eisenvorrat des Körpers aufgebraucht.

Die Behandlung besteht in der Auffüllung des Blutvolumens (Infusion von Blutersatzlösungen oder Blutkonserven) und in der Stillung der Blutung.

Bei den Anämien durch verminderte Erythrozytenproduktion werden wieder 2 große Untergruppen unterschieden:

    1. aplastische Anämien

    2. Mangelanämien

Die aplastischen Anämien sind Folge einer aus verschiedensten Gründen verminderten Erythrozytenproduktion im Knochenmark. In der Regel besteht gleichzeitig eine Verminderung der weißen Blutkörperchen (Leukozyten) und der Blutplättchen (Thrombozyten). Es kommen angeborene oder im Lauf des Lebens erworbene Störungen - z. B. nach hoch dosierten Gaben von Zytostatika im Rahmen der Krebstherapie - vor. Die Heilungsaussichten sind gering.

Die Mangelanämien entstehen durch Mangel an Substanzen - Eisen, Vitamin B12, Folsäure, Vitamin B6 -, die für die Bildung der roten Blutkörperchen oder des Hämoglobins notwendig sind. Am häufigsten ist die Eisenmangelanämie, die folgende Ursachen haben kann:

    1. unzureichende Eisenzufuhr - bei Unterernährung oder einseitiger eisenarmer Kost:

    2. mangelhafte Aufnahme und Ausnutzung des mit der Nahrung zugeführten Eisens- bei Durchfallkrankheiten oder nach einer Magenoperation;

    3. Eisenverluste durch Blutungen im Magen-Darm-Kanal und bei Frauen durch die Menstruation, während der Schwangerschaft - durch Abgabe von Eisen an die Frucht - und bei der Entbindung.

Neben den schon genannten allgemeinen Anzeichen der Blutarmut klagen die Patienten bei einer Eisenmangelanämie über Kraftlosigkeit, Kopfschmerzen, depressive Verstimmungen, Mundwinkelschrunden, Zungenentzündung, Schluckbeschwerden, Brüchigkeit der Fingernägel und Haarausfall. Die Diagnose wird anhand des Blutbildes gestellt; die Behandlung besteht in der Beseitigung der Blutungsquellen und in der Zufuhr von Eisenpräparaten.

Vitamin-B12-Mangelanämie: Der Vitamin-B12-Mangel kann verschiedene Ursachen haben:

    1. mangelhafte Zufuhr bei allgemeiner Unterernährung und bei strengen Vegetariern (Vitamin B12 kommt nur in tierischen Nahrungsmitteln vor):

    2. mangelhafte Aufnahme des Vitamins B12 aus der Nahrung: Ehe es von der Dünndarmschleimhaut aufgenommen werden kann, muss sich das Vitamin BI2 mit dem von der Magenschleimhaut gebildeten »lntrinsic-Faktor« in Anwesenheit von Kalzium verbinden;

    3. Verbrauch oder Zerstörung von Vitamin BI2 im Darm durch Parasiten oder Bakterien;

    4. gestörte Aufnahme von Vitamin BI2 im Darm bei gleichzeitiger Einnahme verschiedener Medikamente.

Die bei uns weitaus häufigste Form des Vitamin-B-Mangels ist die sich schleichend entwickelnde perniziöse Anämie (Biermer-Krankheit). Dabei bestehen ein erheblicher Salzsäuremangel im Magen und ein Schwund der Magenschleimhaut, wodurch die Produktion des Intrinsic-Faktors gestört ist. Die familiär gehäuft auftretende Krankheit, bei der auch vermehrt Magenkrebs auftritt, führt unbehandelt immer zum Tod. Neben Anzeichen der Blutarmut weist die perniziöse Anämie noch Symptome von Seiten des Magen-Darm-Kanals und des Nervensystems auf. Typische Anzeichen sind eine strohgelbe Gesichtsfarbe, eine glatt, wie lackiert aussehende, stark brennende Zunge, Verdauungsbeschwerden, Kribbeln an Händen und Füßen,  Gangunsicherheit in der Dunkelheit, allgemeine Muskelschwäche, Antriebsarmut und Konzentrationsschwäche.

Der Arzt findet im Blutbild charakteristische Veränderungen infolge Reifungsstörung der roten Blutkörperchen. Die Behandlung besteht in regelmäßigen Injektionen von reinem Vitamin B12, die zeitlebens erfolgen müssen. Bei Unterbrechung der Behandlung ist mit schweren Rückfällen zu rechnen.

Folsäuremangelanämie: Die Folsäure wird zur Gruppe der B-Vitamine gerechnet. Sie kommt in zahlreichen Blattgemüsen, ferner in Hefe und Leber vor. Folsäuremangel führt zu einer Blutarmut, bei der das Blutbild weitgehend dem bei der perniziösen Anämie gleicht (Riesenformen der Erythrozyten und ihrer Vorläufer). Als Ursachen kommen die ungenügende Zufuhr von Folsäure mit der Nahrung - kein Obst und kein Gemüse - sowie Aufnahmestörungen infolge von Darmkrankheiten in Betracht. Das Hauptanzeichen ist eine gelbblasse Hautfarbe; im Gegensatz zur perniziösen Anämie fehlen jedoch neurologische Symptome. Die Behandlung besteht in der Korrektur der Kost und Zufuhr von ausreichend Folsäure.

Weitere Mangelanämien können bei einem Zuwenig an den Vitaminen B6, C und E, bei Ausfall von Hormondrüsen und bei Eiweißmangel (Hungerkrankheit) auftreten.

Eine besondere Anämieform ist auf eine Störung der Bildung von Härn, dem Farbstoffanteil des Hämoglobins, zurückzuführen. Dabei ist Eisen im Überschuss vorhanden, wird jedoch nicht zur Blutbildung verwendet. Ursache ist wahrscheinlich ein angeborener oder erworbener Enzymdefekt. Der Behandlungserfolg ist bei dieser Anämieform noch sehr unbefriedigend.

Anämien durch gesteigerten Erythrozytenabbau, die auch als hämolytische Anämien bezeichnet werden. Die normale Lebensdauer der Erythrozyten von etwa 120 Tagen ist dabei herabgesetzt. Es werden mindestens 13 verschiedene Formen dieser Anämien unterschieden, die teils angeboren und teils durch äußere Schädigungen bedingt sind. So ist die erbliche Kugelzellenanämie dadurch gekennzeichnet, dass die Erythrozyten im Vergleich zu normalen roten Blutkörperchen dicker und kleiner sind. Der Verlauf der Krankheit ist sehr verschieden. Sie kann lange unbemerkt bleiben, bis es durch Zusammentreffen mit anderen Erkrankungen zu schweren Krisen kommt, die tödlich enden können. Bei den Kranken fällt oft ein Turmschädel mit Erhöhung des Scheitels und steilem Abfall von Stirn und Hinterkopf auf. Die Behandlung besteht in der operativen Entfernung der Milz, die als »Falle« für die Erythrozyten wirkt; die Operation soll schon im Kindesalter - etwa nach dem 6. Lebensjahr - vorgenommen werden.

Die Thalassämie (Mittelmeeranämie) wurde zuerst bei Angehörigen der Mittelmeerländer entdeckt, kommt aber in der ganzen Welt vor. Dabei liegt eine anlagebedingte Störung der Hämoglobinsynthese vor.

Die Sichelzellenanämie tritt fast ausschließlich bei Menschen schwarzer Hautfarbe auf. Der Krankheit liegt eine vererbte Abnormität des Hämoglobins zugrunde.

Die erworbenen hämolytischen Anämien sind entweder immunologisch oder toxisch bedingt. So ist es möglich, dass der Organismus Antikörper gegen die eigenen Erythrozyten bildet. Die Entstehungsbedingungen dieser Antikörper sind noch unklar, ihre Wirkung ist temperaturabhängig, d. h. sie wirken teils bei Kälte, teils bei Wärme. Bei manchen Menschen führt die Einnahme bestimmter Medikamente - Antibiotika, Analgetika, Fiebermittel, Sedativa - zum verstärkten Abbau der roten Blutkörperchen (Hämolyse). Die Behandlung richtet sich nach dem jeweiligen Grundleiden. Die als schädlich erkannten Stoffe müssen unbedingt ausgeschaltet werden. Anämien durch gleichzeitige Störung von Produktion und Abbau der Erythrozyten findet man im Gefolge zahlreicher chronischer Krankheiten, vor allem beim Krebs, bei der Leukämie, bei Nierenkrankheiten und chronischen Infekten. Die Therapie muss sich wiederum nach dem Grundleiden richten.

Abbildungen

  • Anämie_Symptome_Symptome_der_Anämie.png

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