Wer eine Willenserklärung abgibt, handelt in der Regel für sich selbst. Manchmal kann, soll oder darf ein anderer für jemanden handeln  die sog. Stellvertretung, §§ 164 ff. BGB. Diese Vorgehensweise findet täglich in jeglicher Form statt: aufgrund von Abwesenheit, fehlender Sachkenntnis oder Vielseitig- bzw. Schnelllebigkeit des Wirtschaftslebens. Die Stellvertretung gem. §§ 164 ff. BGB wird vom ersten Semester bis zum Examen immer wieder gerne in Klausuren abgefragt. In diesem Beitrag lernst du alles Wichtige zum Thema!
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I. Allgemeines

Geregelt ist die Stellvertretung in den §§ 164 ff. BGB. Obwohl eine Person (als Vertreter) handelt, treffen die Rechtsfolgen die andere Person (den Vertretenen), wie wenn diese Person selbst rechtsgeschäftlich gehandelt hätte. Es entsteht ein grundsätzliches Dreipersonenverhältnis, in dem sich die Interessenlagen unterscheiden.


Stellvertretung Dreipersonenverhältnis

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II. Prüfungsschema

Prüfungsschema: Stellvertretung, §§ 164 ff. BGB

  1. Zulässigkeit der Stellvertretung
  2. Eigene wirksame Willenserklärung des Stellvertreters (ggf. Abgrenzung zum Boten)
  3. Abgabe der Willenserklärung im Namen des Vertretenen (= Offenkundigkeitsprinzip)
  4. Handeln mit und im Rahmen der Vertretungsmacht (Auslegung, gesetzlich oder rechtsgeschäftlich)

III. Zulässigkeit

Bei Rechtsgeschäften und rechtsgeschäftsähnlichen Handlungen ist die Stellvertretung gem. §§ 164 BGB grds. immer zulässig. Nicht aber bei Realakten.

Ausnahmsweise unzulässig ist sie bei höchstpersönlichen Rechtsgeschäften, z.B. §§ 1311, 2064 BGB, oder im Fall gesetzlicher Vertretungsverbote.


Ausnahmen Zulässigkeit Stellvertretung

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IV. Eigene Willenserklärung des Stellvertreters

Vorab muss beachtet werden, dass eine Willenserklärung dann unwirksam ist, wenn der Vertreter geschäftsunfähig ist (gem. §§ 105, 131 Abs. 1, 165 BGB). Es ist aber nicht erforderlich, dass der Vertreter voll geschäftsfähig ist; es genügt die beschränkte Geschäftsfähigkeit (§ 165 BGB), weil die Folgen der Willenserklärung des Vertreters nicht ihn, sondern den Vertretenen treffen. Auch hat der Vertretene sich selbst die Folgen zuzuschreiben, wenn der beschränkt geschäftsfähige Vertreter für ihn ungünstige Geschäfte tätigt.

Abgrenzung zur Botenschaft

Da eine Stellvertretung ein eigenes rechtsgeschäftliches Handeln verlangt, ist sie von der Botenschaft zu unterscheiden.

Definition: Bote ist, wer eine das Geschäft nicht selbst abschließt, sondern eine fremde Erklärung überbringt.

Aus Gründen des Vertrauens- und Verkehrsschutzes ist letztlich der objektive Empfängerhorizont entscheidend.

Merke: Der Stellvertreter gibt eine eigene Willenserklärung ab, der Bote übermittelt eine fremde Willenserklärung

Bedarf das Rechtsgeschäft einer Form, so muss bei der Stellvertretung die Willenserklärung des Vertreters, bei der Botenschaft die Erklärung des Geschäftsherrn der Form genügen.

Ein Unterschied besteht hinsichtlich der Geschäftsfähigkeit. Da der Bote nur eine fremde Willenserklärung überbringt, braucht er nicht geschäftsfähig zu sein; auch ein Geschäftsunfähiger kann daher Bote sein (Merksatz: Ist das Kindchen noch so klein, so kann es doch schon Bote sein). Wie bereits erwähnt muss der Vertreter mindestens beschränkt geschäftsfähig sein (§ 165 BGB).

Auch Fehler sind möglich: Übermittelt der Bote die fremde Willenserklärung unbewusst falsch, ist der Geschäftsherr daran gebunden. Es besteht jedoch die Möglichkeit die unrichtig überbrachte Willenserklärung nach § 120 BGB anzufechten. Eine bewusste Falschübermittlung hingegen ist für den Geschäftsherrn unverbindlich.


Abgrenzung Stellvertreter Bote

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Tipp: Mehr zum Thema? Dann schau dir dieses Video zur Abgabe einer eigenen Willenserklärung i.R.d. Stellvertretung gem. §§ 164 ff. BGB an!

V. Offenkundigkeitsprinzip

Der Dritte, dem der Handelnde gegenübertritt, muss wissen, wer sein Geschäftspartner ist. Wenn der Dritte dies nicht erfährt, wird er glauben, dass der Handelnde selbst sein Partner sein soll. Die spätere Kenntnis darüber würde eine Überraschung für ihn bedeuten. § 164 Abs. 1 BGB basiert daher auf dem Prinzip der Offenkundigkeit. Dem Wortlaut nach soll die Willenserklärung im Namen des Vertretenen abgegeben werden.

Dieser Schutzzweck wird nicht nur dann erreicht, wenn die Erklärung „ausdrücklich im Namen des Vertretenen erfolgt“, sondern auch dann, wenn „die Umstände ergeben, dass sie in dessen Namen erfolgen“ (vgl. § 164 Abs. 1 S. 2 BGB). Offenkundigkeit ist auch dann gegeben, wenn der Handelnde zwar im Namen eines anderen auftritt, für den Dritten aber nicht erkennbar ist, wer der Vertretene ist. Fehlt es an der Offenkundigkeit, so ist die Willenserklärung dem Erklärenden zuzurechnen (vgl. § 164 Abs. 2 BGB, sog. Eigengeschäft).

Ausnahme: Geschäft für den, den es angeht

Eine Ausnahme vom Offenkundigkeitsprinzip gibt es: Das sog. Geschäft für den, den es angeht.

Hier macht der Handelnde dem Dritten nicht klar, ob er für sich selbst oder für einen anderen auftritt. Grundsätzlich wäre das Offenkundigkeitsprinzip missachtet. Allerdings besteht bei Geschäften des täglichen Lebens, die sofort abgewickelt werden, i.d.R. gar kein Interesse des Dritten daran zu wissen, wer sein Geschäftspartner ist. Beispiel hierfür ist der hilfsbereite Nachbar, der für die „Omi nebenan“ Sachen im Supermarkt einkauft.

Da dem Verkäufer sein Vertragspartner gleichgültig ist, schließt er nach ganz herrschender Meinung den Vertrag mit dem, den es angeht, das wäre hier die Omi. Dies gilt sowohl für den schuldrechtlichen Vertrag, als auch für die dingliche Einigung.


Geschäft für den den es angeht

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VI. Mit und innerhalb der Vertretungsmacht

Auch der Dritte muss innerhalb der Dreiecksbeziehung geschützt werden. Einem Vertretenen wäre nicht damit geholfen, wenn jede beliebige Person für ihn Rechtsgeschäfte abschließt, die ihn letztlich treffen. Daher stellt § 164 Abs. 1 BGB darauf ab, dass der Vertreter „innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht“ handelt. Bei Fehlen dieser Voraussetzung würden die Folgen nicht den Vertretenen treffen.

Voraussetzung für eine Handeln innerhalb der Vertretungsmacht ist jedoch zunächst das Bestehen einer Vertretungsmacht.

Eine Vertretungsmacht kann einerseits auf einem entsprechenden Rechtsgeschäft des Vertretenen beruhen, durch Rechtsschein oder aufgrund einer gesetzlichen Vorschrift bestehen.

1. Rechtsgeschäftlich erteilte Vertretungsmacht

Die rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht erfolgt durch Erteilung einer Vollmacht, § 166 Abs. 2 BGB. Die Bevollmächtigung ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung. Sie kann grds. formlos erteilt werden. Die Bevollmächtigung muss nicht zwingend ausdrücklich erklärt werden, sondern kann sich auch konkludent aus den Umständen ergeben (durch Auslegung, §§ 133, 157 BGB).

Nach der Person des Erklärungsempfängers wird zwischen Innen- und Außenvollmacht unterschieden:

Definition: Von einer Innenvollmacht spricht man, wenn die Willenserklärung dem Bevollmächtigten gegenüber abgegeben wird, § 167 Abs. 1 Alt. 1 BGB.
Definition: Bei einer Außenvollmacht wird die Bevollmächtigung gegenüber dem Dritten (Geschäftspartner) erklärt, § 167 Abs. 1 Alt. 2 BGB.

Weiterhin gibt es die nach außen kundgetane Innenvollmacht (§ 171 BGB).

Nach § 168 BGB erlischt die Vollmacht mit dem Grundverhältnis. Zudem kann sie widerrufen (zumindest solange sie noch nicht ausgeübt wurde) oder nach § 142 BGB angefochten werden.

Tipp: Ein wichtiges Klausurproblem ist die Anfechtung der ausgeübten Innenvollmacht. Schau dir dazu diesen Artikel an!

2. Gesetzliche Vertretungsmacht

Das Gesetz räumt eine Vertretungsmacht vor allen in den Fällen ein, in denen eine Person nicht selbständig rechtsgeschäftlich handeln kann. Beispiele: Vertretungsmacht der Eltern für ihr Kind (§ 1629 Abs. 1 BGB), des Vormunds für sein Mündel (§ 1793 BGB), des Betreuers für den Betreuten (§ 1902 BGB).

Zudem existieren diverse gesetzliche (manchmal auch organschaftlich genannt) Vertretungsmachten bei juristischen Personen und Personengesellschaften.


Vertretungsmacht Übersicht

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Tipp: Mehr zum Thema? Dann schau dir dieses Video zur Vertretungsmacht i.R.d. Stellvertretung gem. §§ 164 ff. BGB an!

3. Auf Rechtsschein beruhende Vertretungsmacht

Eine rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht kann auch aufgrund eines Rechtsscheines fingiert werden, obwohl sie nicht oder nicht mehr besteht.

Zum einen gibt es gesetzlich geregelte Fälle der Rechtsscheinhaftung. Dies betrifft die §§ 170-173 BGB, sowie die § 15 HGB und § 56 HGB. Zum anderen gibt es die gewohnheitsrechtlich anerkannten Fälle der Anscheins- und Duldungsvollmacht.

Definition: Bei der Duldungsvollmacht kennt und duldet der Vertretene das vollmachtlose Auftreten des Vertreters.
Definition: Bei der Anscheinsvollmacht kennt der Vertretene das vollmachtlose Auftreten des Handelnden nicht, hätte es bei Aufwendung der pflichtgemäßen Sorgfalt jedoch erkennen und verhindern können.

Bei beiden Formen ist erforderlich, dass der Geschäftsgegner gutgläubig auf den gesetzten Rechtsschein vertraut.


Rechtsscheinvollmachten

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Tipp: Mehr zum Thema? Dann schau dir dieses Video zum Rechtsschein der Vollmacht i.R.d. Stellvertretung gem. §§ 164 ff. BGB an!

VII. Rechtsfolgen

Liegen die Voraussetzungen einer wirksamen Stellvertretung vor, so wirkt das Rechtsgeschäft unmittelbar für und gegen den Vertretenen, § 164 Abs. 1 S. 1 BGB. Bei einem Vertragsschluss ohne Vertretungsmacht kann es zu einer Haftung des Vertreters kommen. Mit der Vertretung ohne Vertretungsmacht gem. § 179 BGB beschäftigt sich dieser Artikel.



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