Das Bereicherungsrecht dient der Rückabwicklung rechtsgrundloser Vermögensverschiebungen. Damit ist das Bereicherungsrecht in besonderem Maße als Billigungsrecht anzusehen. Ausdruck dieses Billigungsrechtes ist der wichtige Grundsatz vom Vorrang der Leistungskondiktion. Doch auch von diesem Grundsatz gibt es Ausnahmen, die im Folgenden erläutert werden.
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Gelduebergabe

Bild: “Day 4 – Paying off debt” von Quazie. Lizenz: CC BY 2.0


I. Der Grundsatz vom Vorrang der Leistungskondiktion

Der Grundsatz vom Vorrang der Leistungskondiktion ist das wichtigste Prinzip im Bereicherungsrecht. Es besagt, dass grundsätzlich nur innerhalb der Leistungsbeziehungen abgewickelt werden soll. Das bedeutet in der Folge, dass eine Nichtleistungskondiktion nur dann in Betracht kommt, wenn der Kondiktionsgegenstand nicht durch eine vorrangige Leistung erlangt wurde (Subsidiarität der Nichtleistungskondiktion).

Dieses Prinzip lässt sich am besten vor dem Hintergrund der Schuldverhältnisse verstehen: Das Bereicherungsrecht dient der Rückabwicklung rechtsgrundloser Vermögensverschiebungen. Die zugrunde liegenden (unwirksamen) Kausalgeschäfte sind in der Regel Verträge, aus denen die Parteien auch Einwendungen gegeneinander haben können.

Diese Einwendungen sollen bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung nicht verloren gehen, weshalb die Rückabwicklung innerhalb der Leistungsbeziehung (= Vertragsbeziehung) geschehen soll (Schutz vor Einwendungsverlust).

Weiterhin gilt im Schuldrecht der Grundsatz der Vertragsfreiheit. Man kann sich aussuchen, mit wem man Verträge eingeht. Hat man sich einen Vertragspartner ausgesucht, so trägt man nur dessen Liquiditäts- bzw. Insolvenzrisiko. Das heißt, ist der Vertragspartner nicht mehr liquide, so trägt man dieses Risiko, weil man sich diesen ausgesucht hat.

Um dieses Prinzip beizubehalten, ist auch bei der Rückabwicklung vorrangig auf die Leistungsbeziehungen abzustellen, um somit zu verhindern, dass sich das Insolvenzrisiko auf Personen verlagert, die man sich vorher nicht aussuchen konnte.

II. Ausnahmen

Wie so oft, gibt es keine Regel ohne Ausnahmen. Dies gilt umso mehr, wenn es sich – wie beim Bereicherungsrecht – um ein Billigkeitsinstrument handelt. Wie soeben dargestellt, basiert der Grundsatz vom Vorrang der Leistungsbeziehungen auf Billigkeits- und Vertrauensschutzerwägungen.

Dieser Grundsatz ist jedoch nicht in Stein gemeißelt. Wo Vertrauensschutz nicht angemessen ist oder wo er nicht überwiegt, muss es deshalb logischerweise Ausnahmen von diesem Grundsatz geben. Dabei gibt es im Wesentlichen folgende Fallgruppen:

1. Fälle fehlender Anweisung

Ein „Klassiker“ sind die sog. Anweisungsfälle. Dabei geht es um Konstellationen Schuldner – Bank – Gläubiger.

Beispiel: A schuldet dem C 200 €. Er hat jedoch nicht vor, diese so schnell zu bezahlen. Aufgrund eines Versehens wird jedoch eine Überweisung von As Bank B an C über 200 € getätigt. C fasst dies als Zahlungsbereitschaft des A auf und freut sich.

Hier liegen im Normalfall zwei Leistungsbeziehungen vor, nämlich B – A und A – C. Innerhalb dieser müsste grundsätzlich rückabgewickelt werden. Es fehlt jedoch an einer Anweisung seitens A, er hat die Zahlung nicht veranlasst. Aus diesem Grund ist er aus Wertungsgründen aus der Rückabwicklung herauszuhalten, eine Eingriffskondiktion B – C ist damit möglich.

2. Anweisungen von Minderjährigen

Der Minderjährige ist bei Geschäften, die er ohne seinen gesetzlichen Vertreter vornimmt, aufgrund der §§ 107 ff. BGB in aller Regel schutzwürdiger als andere Parteien, weshalb er aus der Rückabwicklung herausgehalten werden soll.

3. Rechtsgedanke des § 816 Abs. 1 S. 2, 822 BGB

Die §§ 816 Abs. 1 S. 2, 822 BGB zeigen die Wertung des Gesetzgebers, dass der unentgeltliche Erwerber weniger schutzwürdig ist. In einem solchen Fall ist eine Eingriffskondiktion möglich, auch wenn der Empfänger das Erlangte Etwas „durch Leistung“ eines Anderen erlangt hat.

4. Wertung des § 935 BGB

Beispiel: A entwendet dem B einen Eimer Farbe. Diese Farbe verwendet er für einen Hausanstrich bei C. C erwirbt dadurch gem. § 946 BGB Eigentum. B verlangt von C Wertersatz gem. §§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2, 818 Abs. 2 BGB.

Ein Durchgriff mittels Eingriffskondiktion ist nach der Wertung des § 935 BGB auch möglich, wenn das Erlangte Etwas dem Bereicherungsgläubiger abhanden gekommen ist. § 935 BGB gibt dem Eigentümer die Möglichkeit, den Anspruch aus § 985 BGB bei Abhandenkommen der Sache geltend zu machen.

Erwirbt der Dritte (hier C) dennoch Eigentum, so ist der frühere Eigentümer deshalb nicht weniger schutzwürdig. Aus diesem Grund muss er gegen den Dritten die Möglichkeit aus §§ 812 ff. BGB haben.

5. Zessionsfälle

Eine besonders schwierige Fallgruppe sind die sog. Zessionsfälle. Dabei geht es um die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung im Drei-Personen-Verhältnis, wenn eine Forderungszession gescheitert ist, entweder weil die Forderung nicht bestand, oder die Abtretung unwirksam war.

Beispiel: A schuldet dem B angeblich 1000 €. B tritt diese Forderung an C ab. A zahlt auf Verlangen des C an diesen. Sodann stellt sich heraus, dass die ursprüngliche Forderung nie bestand.

Aufgrund der Leistungsbeziehungen müsste hier die Rückabwicklung eigentlich zwischen C und A stattfinden. Dann müsste A aber plötzlich das Liquiditätsrisiko des C tragen. Dies wird jedoch aus Wertungsgesichtspunkten abgelehnt, weshalb eine Direktkondiktion möglich ist.



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