Der neue Straftatbestand der Verstümmelung weiblicher Genitalien stellt erstmals diese Tathandlung ausdrücklich unter Strafe. Was es damit auf sich hat, unter welchen Voraussetzungen § 226a StGB erfüllt ist  und wie notwendig eine solche Regelung ist, wird in diesem Artikel erläutert.
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Bild: “Desert Trip” von Claus Rebler. Lizenz: CC BY-SA 2.0


I. Allgemeines und Hintergrund zu § 226a StGB

Deutschland ist ein pluralistisches Land mit einer Vielzahl von Kulturen und Traditionen. Hierzu gehört teilweise auch die sogenannte Genitalverstümmelung.

Vor allem die weibliche Genitalverstümmelung ist verbreitet. Zwar betrifft dies vorwiegend afrikanische Länder, leider gibt es auch in Deutschland zahlreiche Betroffene.

Es lassen sich verschiedene Formen, je nach Intensität unterscheiden. Diese reichen von der bloßen Entfernung der Klitorisvorhaut bis hin zur kompletten Entfernung von Schamlippen und Klitoris und anderen Variationen. Sämtliche Formen fallen unter den Begriff der Genitalverstümmelung, dazu sogleich.

Schwere gesundheitliche Schäden, sowohl körperliche als auch psychische, sind in den meisten Fällen die Folge. Diese können erhebliche Ausmaße annehmen und die Betroffenen ihr Leben lang einschränken.

Erklärt wird die Vornahme solcher Handlungen mit traditionellen kulturellen Vorstellungen. So werden Frauen, die keiner Genitalverstümmelung unterzogen wurden, nicht als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft angesehen und ihre Heiratschancen werden nur als gering eingestuft.

Zudem soll so ihr Sexualtrieb kontrolliert werden, sowie die Gewährleistung der Jungfräulichkeit bis zur Ehe erhalten bleiben. Auch spielt Aberglaube in den Vorstellungen der Täter oftmals eine wichtige Rolle. Doch all dies rechtfertigt keine derartige Verletzung und Verstümmelung.

Deshalb wurde mit dem 47. Strafrechtsänderungsgesetz 2013 der Straftatbestand der Verstümmelung weiblicher Genitalien eingefügt, § 226a StGB.

§ 226a StGB:

(1) Wer die äußeren Genitalien einer weiblichen Person verstümmelt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.
(2) In minder schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

II. Schema des § 226a StGB

Prüfungsschema des § 226a StGB:

  • I. Tatbestand
  • 1. Objektiver Tatbestand
    1. Tatobjekt: jede weibliche Person
    2. Taterfolg: Verstümmelung
    3. kausal und objektiv zurechenbar durch eine Handlung hervorgerufen
  • 2. Subjektiver Tatbestand
  • II. Rechtswidrigkeit
  • III. Schuld

III. Tatbestandsvoraussetzungen des § 226a StGB

1. Tatbestand

Geschützte Rechtsgüter sind das Recht auf körperliche Unversehrtheit und das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, da durch solch schwerwiegende Eingriffe stark in die Sexualität der Betroffenen eingegriffen wird.

Der Tatbestand umfasst als Tat“objekt“ jede weibliche Person. Dabei ist das Alter ohne Bedeutung. Mit weiblicher Person sind all diejenigen gemeint, die über weibliche äußere Geschlechtsmerkmale verfügen.

Der Taterfolg ist die Verstümmelung der äußeren weiblichen Genitalien. Um Verstümmelung zu definieren muss man sowohl den Wortlaut heranziehen als auch die Systematik. Eine Abgrenzung zu aus ästhetischen Gründen im äußeren Genitalbereich vorgenommenen medizinischen Eingriffen legt das Wort Verstümmelung nahe. § 226a StGB wurde zudem bei den Körperverletzungsdelikten und genau nach der schweren Körperverletzung gemäß § 226 StGB eingefügt. Aus der vorangegangenen Auslegung bedarf es eines Elementes der „Entstellung“ (§ 226 Abs. 1 Nr. 3 Vor. 1 StGB). Ein Verlust der Funktionsfähigkeit ist jedoch nicht vonnöten. Es ergibt sich mithin folgende Definition:

Definition: Verstümmelung ist jede erhebliche negative Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes durch äußere Einwirkung, welche unästhetisch oder entstellend wirkt.

Die äußeren weiblichen Genitalien umfassen dabei die großen und kleinen Schamlippen, den Scheidenvorhof, die Scheidenvorhofdrüsen und die Klitoris samt Klitorisvorhaut. Innere Genitalien sind ausdrücklich nicht erfasst. Dadurch sollen – laut Gesetzesentwurf – vor allem medizinische Eingriffe an den inneren Genitalien, insbesondere an den Eierstöcken, Eileitern und der Gebärmutter, von dem Anwendungsbereich ausgenommen werden

Problematisch ist, dass § 226a StGB nur für inländische Taten greift (§ 3 StGB i.V.m. § 9 StGB). Da die Beschneidung aber meist im Ausland geschieht (etwa während einer Fernreise) und § 7 StGB meist nicht greifen wird, ist der tatsächliche Wirkungsbereich des § 226a StGB nur sehr gering.

Gem. § 226a, 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB verjährt die Tat nach 20 Jahren. Gem. § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB beginnt die Verjährung auch erst ab dem 21. Lebensjahr zu laufen. Dies ist ein positiver Faktor, da die Genitalverstümmelung zumeist nur nach Anzeige durch die Betroffenen geahndet werden kann.

2. Rechtfertigung

Als Rechtfertigungsgrund kommt eine Einwilligung in Betracht, welche bei Minderjährigen gegebenenfalls auch durch die Eltern als gesetzliche Vertreter erfolgen kann. Diese haben die Personensorge grundsätzliche inne, § 1631 Abs. 1 BGB.

Bei der weiblichen Genitalverstümmelung können sich die Eltern jedoch nicht auf ihr elterliches Erziehungsrecht stützen und bei nicht einwilligungsfähigen Mädchen für diese einwilligen. Dies ist unabhängig von der Schwere des Eingriffs der Fall.

Tipp: Falls die Voraussetzungen der Einwilligung nicht mehr sitzen, lies hier.

Dies steht allerdings in direktem Wertungswiderspruch zu der Beschneidung von Jungen, welche ebenso eine Genitalverstümmelung darstellt, wie etwa die Entfernung der Klitorisvorhaut bei Mädchen. Diese einfache Form der Genitalverstümmelung ist bei Mädchen nach § 226a StGB nunmehr unter Strafe gestellt und nicht zu rechtfertigen.

Dass die Beschneidung an Jungen gem. § 1631d BGB, welcher am 28.12.2012 in kraft trat, gerade erlaubt ist, stellt somit einen Wertungswiderspruch dar, welcher bisher nicht geklärt werden konnte. Bisher wird es so gehandhabt, dass § 1631d BGB eine Sondervorschrift darstellt.

IV. Notwendigkeit eines eigenen Straftatbestandes

Es stellt sich zudem die Frage, ob es nötig war, einen eigenen Straftatbestand für die Verstümmelung weiblicher Genitalien zu schaffen, da dies bereits vorher nach §§ 223 ff. StGB strafbar war.

Tipp: Falls die Körperverletzung nicht mehr sitzt, lies hier.

So war etwa nicht nur § 223 Abs. 1 StGB erfüllt, sondern meist auch die qualifizierenden Merkmale nach § 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 StGB. § 226 StGB wird hingegen nur selten erfüllt sein. Daher war die Strafbarkeit vor Inkrafttreten des § 226a StGB beschränkt auf reine Vergehen.

Nunmehr ist die Tathandlung der weiblichen Genitalverstümmelung als Verbrechen strafbar!

In Anbetracht der Tatsache, dass § 226 StGB nicht einschlägig für die meisten Fälle der Genitalverstümmelung war, der Unwert der Tat allerdings auf etwa gleicher Ebene anzusiedeln ist, könnte von einer Strafbarkeitslücke ausgegangen werden.

Ebenso wie bei dem neuen Straftatbestand der Zwangsheirat nach § 237 StGB ist größter Zweck der Normierung wohl die Signalwirkung, welche durch ein konkretes Feststellen der Strafbarkeit ausgeht.

Kritik an § 226a StGB wird vor allem deswegen geäußert, da es meist wegen Auslandsbezugs an der Anwendbarkeit der Norm mangele. Praktisch wurden schon vorher keine Strafverfahren wegen Genitalverstümmelung geführt, sodass es sich um eine bloße Signalnorm handelt.

Selbst dies erreiche sie jedoch nur ungenügend, da die Täter meist keine Kenntnis der Strafbarkeit haben oder sie die Strafbarkeit aufgrund ihrer Kultur nicht abschreckt, welche ihnen die Verstümmelung erlaubt.

Im Ergebnis wird die praktische Anwendbarkeit von § 226a StGB eher gering ausfallen. Ob in Zukunft eine deutliche Signalwirkung von ihm ausgeht, bleibt abzuwarten. Zudem wäre eine Abänderung unter Berücksichtigung des Gleichheitsgebotes aus Art. 3 Abs. S. 1 Alt. 1 GG begrüßenswert und grundrechtlich geboten, sodass auch die Verstümmelung von Jungen unter Strafe steht. Dies wird die Zeit zeigen.



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