
Bild: “Darth Jawa” von JD Hancock. Lizenz: CC BY 2.0
In Abgrenzung zu den Begehungsdelikten, die grundsätzlich jedermann begehen kann, macht die Garantenstellung bei Unterlassungsdelikten eine bestimmte Person – und nur sie – zum Täter.
Grundsätzlich muss beachtet werden, dass es auf eine Garantenstellung nur bei unechten Unterlassungsdelikten (§ 13 StGB) ankommt.
Beispiele: § 323c StGB Unterlassene Hilfeleistung, § 138 StGB Nichtanzeige geplanter Straftaten, § 123 I 2.Var. StGB Hausfriedensbruch in der Form des Sich-Nicht-Entfernens
Prüfungsaufbau
Zur Wiederholung und Veranschaulichung zunächst eine Übersicht zum Tatbestand eines unechten Unterlassungsdeliktes:
Objektiver Tatbestand
I. Taterfolg (Erfolgsdelikt, häufig) oder tatbestandsmäßige Situation (Tätigkeitsdelikt, seltener)
II. Unterlassen
- jede Nichtvornahme einer geeigneten und erforderlichen Rettungs- bzw. Verhinderungshandlung trotz gleichzeitiger physisch-realer, individueller Handlungsmöglichkeit
III. Garantenstellung
- Garantenposition = besonderes Rechtsverhältnis, in dem sich eine Person befindet; kann sich ergeben aus Gesetz/Vertrag/Ingerenz
- Garantenflicht = Handlungspflicht im konkreten Fall
IV. hypothetische (Quasi-) Kausalität
- die geeignete und erforderliche Rettungshandlung kann nicht hinzu gedacht werden, ohne dass der Taterfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfiele (im Zweifel: in dubio pro reo!)
V. objektive Zurechnung
VI. Entsprechungsklausel § 13 I 2.HS. StGB (muss meist nicht explizit geprüft werden)
- die Nichtabwendung eines tatbestandlichen Erfolges durch einen Garanten entspricht i.d.R. der aktiven Erfolgsherbeiführung; kann bei Delikten mit besonderem Handlungsunwert, z.B. § 263 Betrug zu diskutieren sein
Subjektiver Tatbestand
- Unterlassungsvorsatz bzgl. aller obj. Tatbestandsmerkmale
- bedingter Vorsatz genügt (der Täter findet sich damit ab, dass er als Garant den tatbestandsmäßigen Erfolg durch Vornahme der gebotenen Rettungshandlung verhindern könnte
- Insbesondere muss der Täter seine Garantenstellung kennen! (Parallelwertung in die Laiensphäre)
Obhutsgarantenstellung
Bei der Obhutsgarantenstellung hat der Täter die Pflicht, ein Rechtsgut von allen oder auch bestimmten äußeren Gefahren abzuschirmen und es zu beschützen. Ihn treffen also Obhutspflichten, er ist für das Rechtsgut verantwortlich und fungiert quasi als „menschliches Schutzschild“. Beschützte Rechtsgüter können dabei sowohl Personen als auch Sachen sein.
Typische Fallgruppen sind:
Familie
Verwandte gerader Linie § 1589 I 1 BGB, also in jedem Falle:
- minderjährige Kinder –Eltern § 1626 I 1 BGB (auch Großeltern, Adoptiveltern, Pflegeeltern)
- bei Volljährigkeit weiterhin Pflichten aus den §§ 1601, 1618 a BGB; jedenfalls unproblematisch wenn Zusammenleben in häuslicher Gemeinschaft (Hausgemeinschaft)
- ansonsten auch, wenn Verbindung intakt (Familiengemeinschaft); anders bei Zerwürfnis!
strittig bei Geschwistern; nach der wohl h.M. bei häuslicher Gemeinschaft (+)
Ehegatten gem. § 1353 I 2 BGB
Nach h.M. erlischt die Garantenstellung hier nicht erst mit der Scheidung, sondern schon dann, wenn die Ehe als gescheitert bezeichnet werden kann. Laut BGH ist dies der Fall, wenn ein Ehegatte sich von dem anderen in der ernsthaften Absicht getrennt hat, die eheliche Lebensgemeinschaft nicht wieder herzustellen.
Unzweifelhaft erlischt das zwischen den Ehegatten bestehende Vertrauensverhältnis, wenn der Ehepartner bereits dauerhaft ausgezogen ist und/oder sich schon einem neuen Partner zugewendet hat. Ein Auszug ist aber nicht zwingend, im Einzelfall kann die Garantenstellung auch schon nach einem schweren Zerwürfnis entfallen, wenn die Eheleute innerhalb der Wohnung getrennt voneinander leben.
Enge Lebensgemeinschaften/ Enge persönliche Lebensbeziehungen
Hier muss ein der familiären Verbundenheit vergleichbares Näheverhältnis bzw. eine eheähnliche, auf Dauer angelegte Lebens- und Hausgemeinschaft bestehen. Aus dem Verhalten der Beteiligten muss hervorgehen, dass sie sich gegenseitig zum Beistand verpflichtet fühlen.
Gefahrengemeinschaften
Verschiedene Personen haben sich bewusst zusammengefunden und sich gegenseitig – auch konkludent – versprochen, aufeinander aufzupassen und Gefahren voneinander abzuwenden.
Nicht erfasst sind zufällige Schicksals- bzw. Unglücksgemeinschaften (z.B. Flugzeugabsturz, Schiffbruch, sonstige Katastrophe).
Vertragliche und tatsächliche Gewährübernahme
Man kann sich sowohl vertraglich als auch faktisch als Beschützergarant verpflichten.
Amtsträger
Ein Amtsträger kann dazu verpflichtet sein, kraft seiner Legitimation bestimmte Schutzpflichten gegenüber dem Bürger oder dem Staat wahrzunehmen. Diese Pflichten bestehen jedoch i.d.R. nur während der Dienstausübung.
Beispiele: Polizisten, Staatsanwälte, staatliches Aufsichtspersonal wie Lehrer oder Justizvollzugsbeamte
Überwachergarantenstellung
Bei der Überwachergarantenstellung hat der Täter die Pflicht, eine Gefahrenquelle von Rechtsgütern anderer abzuschirmen, er muss die Gefahrenquelle also überwachen. So muss er aufpassen, dass sich die Gefahrenquelle nicht ausbreitet und Rechtsgüter schädigt. Ihn treffen also Sicherungspflichten, er ist für die Gefahrenquelle verantwortlich.
Zu überwachende Gefahrenquellen können auch hier sowohl Personen als auch Sachen sein.
Verantwortlichkeit für Sachen als Gefahrenquellen/ Verkehrssicherungspflichten
Jeder Eigentümer/ Besitzer muss die in seinem Herrschaftsbereich stehenden beweglichen und unbeweglichen Sachen überwachen und dafür sorgen, dass von ihnen keine Gefahr für andere Rechtsgüter ausgeht.
Verantwortlichkeit für Personen als Gefahrenquellen / Aufsichtspflichten
Voraussetzung ist das Bestehen eines Aufsichtsverhältnisses. Dies liegt vor bei:
- nicht voll verantwortlichen Personen;
Beispiel: Eltern/Lehrer/Kindergärtner-minderjährige Kinder, Anstaltspersonal-Geisteskranke
- voll verantwortlichen Personen und vergleichbarem Aufsichtsverhältnis,
Beispiel: militärischer Vorgesetzter-Soldaten, Justizvollzugsbeamter-Gefängnisinsassen, Fahrlehrer-Fahrschüler, nach h.M. auch Betriebsinhaber-Betriebsmitarbeiter
Ingerenz (vorangegangenes gefährdendes Tun)
Eine Ingerenz-Garantenstellung ergibt sich, wenn der Täter durch ein objektiv pflichtwidriges Vorverhalten die Gefahr selbst geschaffen oder erhöht hat. Pflichtwidrig ist ein Verhalten, wenn es im Widerspruch zur Rechtsordnung steht, also strafbar ist.
Garantenpflicht
Die obige Darstellung bezieht sich streng genommen nur auf die „Garantenposition“. I.d.R. ergibt sich aus dem Vorliegen einer Garantenposition auch eine Garantenpflicht, also eine Pflicht, in diesem konkreten Fall zu handeln.
In Einzelfällen ist das Vorliegen einer Garantenpflicht jedoch gesondert zu prüfen.
Am examensrelevantesten dürfte hier der Fall eines freiverantwortlichen Suizids sein. So kann es beispielsweise sein, dass der Ehegatte trotz seiner Beschützergarantenstellung nicht verpflichtet ist, seinen Partner vom Suizid abzuhalten.
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