Die Verhältnismäßigkeit und ihre Prüfung verfolgt einen seit dem ersten Jurasemester. Sie ist der Schwerpunkt der meisten öffentlich-rechtlichen Prüfungen und sollte daher beherrscht werden. Folgend werden die Verhältnismäßigkeit im Allgemeinen und deren Anwendung (legitimiert Zweck, Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit) erläutert.

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I. Allgemeines zur Verhältnismäßigkeit

Verhältnismäßigkeit meint, dass das seitens des Staates eingesetzte Mittel in angemessenem Verhältnis zu dem staatlicherseits verfolgten Zweck stehen muss.

Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) niedergelegt und wird auch als Übermaßverbot bezeichnet.

Nach diesem mit Verfassungsrang ausgestatteten Grundsatz sind Eingriffe in die Freiheitssphäre nur dann und insoweit zulässig, als sie zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich sind; die gewählten Mittel müssen in einem vernünftigen Verhältnis zum angestrebten Erfolg stehen [BVerfGE 35, 382].

Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hat sich wie folgt entwickelt:


Verhältnismäßigkeit

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Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist nicht ausdrücklich im Grundgesetz niedergeschrieben. In spezifischen Bereichen ist er jedoch ausdrücklich normiert. So zum Beispiel im ASOG Bln, BbgPolg und BayPAG.


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II. Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes

Für staatliche Handlungen ist ein legitimer Zweck zu bestimmen, welcher Geeignetheit und Erforderlichkeit aufweist. Zudem muss Angemessenheit zwischen dem verfolgten Zweck und dem eingesetzten Mittel bestehen.


Verhältnismäßigkeit

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Die einzelnen Merkmale der Verhältnismäßigkeit sollen im Folgenden anhand eines Beispiels genauer beleuchtet werden.

Sachverhalt: 

Ein alter Baum auf dem Grundstükc des A neigt sich leicht in Richtung der angrenzenden Straße. Nach einem starken Regenfall wäre es nur eine Frag der Zeit, bis dieser auf die Straße fallen würde. 
Der Mitarbeiter B der zuständigen Ordnungsbehörde trifft sich an Ort und Stelle mit A, um sich die Situation genauer anzuschauen. Dort angekommen erkennt B die Gefahr für die Straßennutzer und erklärt A, wer müsse als Eigentümer und somit Verantwortlicher für den Baum diesen fällen, um Schlimmeres zu verhindern. A sieht sich selbst als naturverbundenen Mensch, möchte dieser Aufgabe nicht nachkommen und bittet den B, das  Grundstück zu verlassen.
B stellt dem A einen Bescheid zu, in welchem der A dazu aufgefordert wird, den Baum zu fällen oder fällen zu lassen. Den Baum zu fällen kostet voraussichtlich 300 €. 
A möchte den Baum jedoch „in Stand bringen“ und hat sich daraufhin bei einem Fachmann erkundigt, welcher die Arbeit für 2.000 € erledigen würde. 

Ist die Verpflichtung des A, den Baum zu fällen oder fällen zu lassen, verhältnismäßig?


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Voraussetzung für die Verhältnismäßigkeit der Verpflichtung ist, dass diese einen legitimen Zweck erfüllt, geeignet und erforderlich ist, diesen zu erfüllen, sowie angemessen ist.

1. Legitimer Zweck

Definition: Der Zweck der Maßnahme ist legitim, wenn er auf das Wohl der Allgemeinheit gerichtet oder wenn für den Zweck eine staatlicher Schutzauftrag besteht.

Zum Wohl aller Straßennutzer und daraus folgend zum Wohl der Allgemeinheit, soll durch die Fällung des Baumes eine Gefahr beseitigt – und Sicherheit im Straßenverkehr geschaffen werden. Der verfolgte Zweck ist somit legitim. Hier muss sehr genau gearbeitet werden, denn ohne wirklich relevanten und legitimen Zweck darf erst gar keine Handlung vorgenommen werden.

2. Geeignetheit

Definition: Geeignet ist eine Maßnahme, welche die Zweckerreichung zumindest fördert.

Von dem Baum geht unstreitig eine Gefahr aus. Wird dieser Baum gefällt, dann ist der Straßenverkehr sicherer durch die Beseitigung der von dem wahrscheinlich umfallenden Baum ausgehenden Gefahr. Die Maßnahme ist somit geeignet, den legitimen Zweck zu erfüllen.

3. Erforderlichkeit

Fraglich ist, ob die Maßnahme erforderlich ist.

Definition: Erforderlichkeit bedeutet, dass es kein gleich wirksames, aber milderes Mittel gibt, also das relativ mildeste Mittel gewählt wurde.

Die Maßnahme den Baum zu fällen ist nach dem Sachverhalt für den A eine stärkere Beeinträchtigung als die Instandsetzung des Baumes. Beide Methoden führen gleichermaßen zur Beseitigung der Gefahr.

A hatte sich während dem Treffen mit B nicht dazu geäußert, den Baum reparieren zu wollen. Somit stellt, nach wirtschaftlicher Betrachtung und aus objektiver Sicht der Ordnungsbehörde, das Fällen des Baumes, das mildeste Mittel zur Gefahrenbeseitigung dar.

Demnach ist die Maßnahme das mildeste Mittel, um den Zweck zu erfüllen. In der Klausur ist hier Raum für Kreativität: Es können und sollen auch andere Mittel angeführt werden, die jedoch nicht gleichermaßen wirksam sind! Häufig sind es Ermahnungen oder Hinweise.

4. Angemessenheit

Fraglich ist, ob sich die Maßnahme im Rahmen einer Abwägung der Interessen des A einerseits und des Allgemeininteresses andererseits als angemessen erweist.

Definition: Die Maßnahme ist angemessen, wenn die Zweck Mittel Relation nicht außer Verhältnis steht.

A als Eigentümer des Baumes sollte seiner Verpflichtung nach Art. 14 Abs. 2 GG nachkommen und in erster Linie die Gefahr beseitigen, welche von dem Baum für die Allgemeinheit ausgeht.

Dadurch, dass er bei dem Treffen noch nicht die Information mitgeteilt hat, dass er bereit ist, auf eigene Kosten die Instandsetzung des Baumes zu veranlassen,
ist aus Gründen der Rechtssicherheit die Maßnahme angemessen.
Die Maßnahme ist demnach zumutbar.

Ergebnis:

Die Verpflichtung des A, den Baum fällen zu lassen, ist verhältnismäßig.

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