Ein Evergreen der strafrechtlichen Fallbearbeitung ist der Jauchegruben-Fall (BGHSt 14, 193) allemal. Daher sollten er auch spätestens im Examen parat sein. Aber worum geht es dabei eigentlich? Und wie wird die Lösung des Falls in der Prüfung aufgebaut? Keine Bange: Wir erklären das Problem des Jauchegruben-Falls, die Lösungsansätze und wie die Prüfung in der Klausur oder im Examen aufgebaut werden sollte.
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Bild: “Muck” von Steven Lilley. Lizenz: CC BY-SA 2.0


I. Sachverhalt des Jauchegruben-Falls

A und B streiten sich. Daraufhin will A die B am Schreien hindern und steckt ihr deshalb zwei Hände voll Sand in den Mund. Dies geschieht mit bedingtem Tötungsvorsatz seitens der A. B wird schließlich bewusstlos. Daraufhin hält A die B für tot. Zur Beseitigung der vermeintlichen Leiche wirft A sie in eine Jauchegrube. Im Nachhinein stellt sich jedoch heraus, dass B nicht zuvor erstickt, sondern erst in der Jauchegrube ertrunken ist (nach BGHSt 14, 193).

Wie hat sich die A strafbar gemacht?

II. Problem des Jauchegruben-Falls

Mit dem Jauchegrubenfall tritt eine Fallkonstellation in Erscheinung, bei der das Tun des Täters in mehrere Handlungsabschnitte unterteilt werden kann. Am Ende dieser Abschnitte steht ein tatbestandsmäßiger Erfolg. Aufgrund eines Irrtums geht der Täter jedoch davon aus, dass dieser bereits nach dem ersten Handlungsabschnitt und nicht erst später eingetreten ist.

Im Klartext heißt das: Im ersten Handlungsabschnitt stopft B der A Sand in den Mund. Im zweiten Schritt wirft sie B in die Jauchegrube. A hält B jedoch bereits für tot, nachdem sie ihr den Sand in den Mund gestopft hat. Fraglich ist nun, wie sich dieser Umstand auf die Strafbarkeit der A auswirkt, ob in diesem Fall also noch eine vorsätzliche Tötung (§ 212 Abs. 1 StGB) durch A angenommen werden kann.

III. Lösungsansätze des Jauchegruben-Falls

Es wird zwischen drei Lösungsansätzen für die Jauchegruben Problematik unterschieden:

1. Dolus generalis

Die Lehre vom dolus generalis nimmt bei derartigen Fällen ein Gesamtgeschehen an, weshalb der Vorsatz des Täters, der sich eigentlich nur auf den ersten Handlungsabschnitt bezieht, auch auf den zweiten erstreckt wird.

A hatte zwar keinen Vorsatz, B in der Jauchegrube zu ertränken. Sie nahm jedoch den Tod der B durch die Zufuhr des Sandes billigend in Kauf. Nach dieser Lehre wird ihr Vorsatz aus dem ersten Handlungsabschnitt auf den zweiten (das Werfen der B in die Grube mit deren anschließendem Ertrinken) übertragen. Nach dieser Argumentation wäre A folglich aus vollendetem Delikt zu bestrafen.

Gegen diese Ansicht wird eingewandt, dass sie gegen das Koinzidenzprinzip verstoße. Dieses ist in § 16 Abs. 1 S. 1 StGB normiert und legt fest, dass der Täter „bei Begehung der Tat“ vorsätzlich handeln muss. Darüber hinaus können beide Teilakte auch nicht als ein Gesamtgeschehen behandelt werden, da sie aus der Perspektive des Täters völlig verschiedene Bedeutungen haben: Mit der ersten Handlung wollte A die B töten, im zweiten Schritt ging es jedoch nur noch um die Beseitigung der vermeintlichen Leiche.

Die Theorie des dolus generalis ist demnach abzulehnen.

2. Versuchslösung

Eine weitere Ansicht wird als Versuchslösung bezeichnet, diese betrachtet beide Geschehensakte unabhängig voneinander.

Danach sei die Zufuhr des Sandes als versuchter Totschlag (§§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu bewerten. Demgegenüber sei das Werfen in die Grube als fahrlässige Tötung (§ 222 StGB) einzustufen.

Hierzu wird ausgeführt, dass das Koinzidenzprinzip (§ 16 Abs. 1 S. 1 StGB) verlange, dass die Handlung und der Vorsatz gleichzeitig vorliegen müssten. Bei der Tötungshandlung selbst hätte der Täter aber keinen Vorsatz mehr gehabt.

Gegen diese Meinung wird argumentiert, dass der Vorsatz des Täters sich nicht auf den Zeitpunkt des Erfolgseintritts beziehen müsse. Relevant sei stattdessen, dass der Vorsatz zu dem Zeitpunkt besteht, in dem der Täter die tatbestandsmäßige Handlung vornimmt bzw. den Kausalverlauf aus der Hand gibt.

3. Vollendungslösung

Die herrschende Meinung vertritt demgegenüber die Vollendungslösung, welche derartige Fälle mithilfe des Irrtums über den Kausalverlauf löst.

Nach dieser Ansicht wäre A wegen vollendeten Totschlags (§ 212 StGB) zu bestrafen. Dabei wird argumentiert, dass der Tod der B durch Ertrinken in der Jauchegrube keine atypische Abweichung vom Kausalverlauf darstellt.

Diese Ansicht hat auch der BGH in der angegebenen Entscheidung vertreten. Da ein Kausalverlauf sich nie hundertprozentig vorhersehen lässt, muss der Täter ihn für seine Vollendungsstrafbarkeit nur in groben Zügen erfassen.

Gegen die Vollendungslösung wird eingewandt, dass sie meist zu den gleichen Ergebnissen wie die Lehre vom dolus generalis gelange, da die Abweichung vom Kausalverlauf in der Regel als unerheblich angesehen wird.

IV. Prüfung des Jauchegruben-Falls

Die angesprochenen Theorien müssen innerhalb der Klausur grundsätzlich bei der Prüfung des subjektiven Tatbestandes diskutiert werden.

1. Strafbarkeit der A gem. § 212 Abs. 1 StGB durch Werfen der B in die Jauchegrube

Beginne mit der Prüfung der Strafbarkeit der A wegen Totschlags aufgrund des Werfens der B in die Jauchegrube.

Der objektive Tatbestand bereitet keine großartigen Probleme. Das Hineinwerfen der B in die die Jauchegrube ist kausal sowie objektiv Zurechenbar für deren Tod.

Im Rahmen des subjektiven Tatbestands kann nun erstmals das Problem des Jauchegruben-Falls erläutert werden und auf die einzelnen Theorie eingegangen werden. Die Theorie des dolus generalis sollte dann, aufgrund der oben bereits erwähnten Argumenten, abgelehnt werden.

2. Strafbarkeit der A gem. § 212 Abs. 1 StGB durch Stopfen von Sand in den Mund der B

Danach prüfe die Strafbarkeit der A nach § 212 Abs. 1 StGB durch das Stopfen des Sandes in den Mund der B.

a) Objektiver Tatbestand

Dieses war für ihren Tod kausal im Sinne der Conditio-sine-qua-non-Formel (Äquivalenztheorie). Schließlich wurde B hierdurch erst bewusstlos. Ohne diesen Umstand hätte A sie nicht für tot gehalten und sie demnach auch nicht in die Grube geschubst.

Der Erfolg müsste jedoch auch objektiv zurechenbar sein. Dies ist er, wenn der Täter eine rechtlich relevante Gefahr geschaffen hat, die sich im tatbestandsmäßigen Erfolg realisiert.

Hier gilt es zu prüfen, ob sich in dem Ertrinken eine typische Gefahr des vorherigen Befüllens des Mundes mit Sand realisiert hat. Dies wird von der herrschenden Meinung mit dem Argument angenommen, dass A die Gefahr des Todes durch Ertrinken während der Beseitigungshandlung bereits durch die Aktion mit dem Sand geschaffen hat. Schließlich wurde A hierdurch erst bewusstlos.

b) Subjektiver Tatbestand

Sofern die objektive Zurechnung bejaht wird, werden nun im Rahmen des Vorsatzes innerhalb des subjektiven Tatbestands die Vollendungs- und die Versuchslösung mit den oben erwähnten Ausführungen diskutiert. Beide Ansichten sind vertretbar.

Wenn der Vollendungslösung (BGH) gefolgt wird, hat A sich durch das Stopfen des Sandes in den Mund der B wegen Totschlags nach § 212 Abs. 1 StGB strafbar gemacht. Die fahrlässige Tötung durch den zweiten Akt tritt dann als mitbestrafte Nachtat zurück.

Sofern du dich jedoch der Versuchslösung anschließt, gelangst du zu einer Strafbarkeit nach §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB hinsichtlich des Stopfens des Sandes in den Mund der B und zu einer fahrlässigen Tötung nach § 222 StGB aufgrund der vermeintlichen Beseitigung in der Jauchegrube in Tatmehrheit.



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Ein Gedanke zu „Der Jauchegruben-Fall (BGHSt 14, 193)

  • Chis Leder

    Solide