Häufiger als man denkt, kommt es vor, dass Parteien nicht zur Verhandlung erscheinen. In dieser Situation stellt sich die Frage, wie mit dem Ausbleiben der Partei umzugehen ist. Unter gewissen Voraussetzungen ergeht gegen sie sodann ein Versäumnisurteil gemäß §§ 330 ff. ZPO. Welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssen, wird in diesem Artikel aufgezeigt.
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Justizzentrum-Aachen-Gerichtssaal

Bild: „Blick aus dem Zuschauerbereich in einen Gerichtssaal des Justizzentrums Aachen.“ von ACBahn. Lizenz: CC BY 3.0


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I. Prüfungsschema des Versäumnisurteils

Ein Versäumnisurteil ist ein echtes Urteil mit voller Rechtswirkung gegenüber der säumigen Partei. Das Gesetz unterscheidet zwischen einem Versäumnisurteil aufgrund der Säumnis des Klägers (§ 330 BGB) und des Beklagten (§ 331 BGB). Gegen beide kann ein echtes Versäumnisurteil ergehen. Die Voraussetzungen dafür sind fast identisch. Lediglich beim Versäumnisurteil gegen den Kläger gelten zwei Besonderheiten. Deshalb werden hier zunächst die allgemeinen Voraussetzungen dargestellt, bevor auf diese Eigenheiten eingegangen wird.

  1. Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils
  2. Säumnis
  3. Kein Erlasshindernis oder Vertagungsgrund, §§ 337, 335 ZPO
  4. Zulässigkeit der Klage
  5. Schlüssigkeit der Klage

II. Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils

1. Prozessantrag

Zunächst muss die anwesende Partei einen Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils gegen die ausgebliebene Partei stellen, §§ 330, 331 ZPO.
Bevor der Kläger dies tut, muss er jedoch einen Sachantrag stellen, denn entsprechend diesem, soll der Beklagte im Versäumnisurteil verurteilt werden. Der Beklagte stellt hingegen zunächst den Antrag auf Klageabweisung, bevor er ein Versäumnisurteil beantragt.

Wird der Prozessantrag nicht gestellt – was in der Praxis und auch in der Klausur nahezu nie der Fall sein wird – , ergeht kein Versäumnisurteil. Das weitere Vorgehen bestimmt sich dann nach § 251a ZPO.

2. Termin zur notwendigen mündlichen Verhandlung vor dem Prozessgericht

Auch muss der Termin zur notwendigen mündlichen Verhandlung ordnungsgemäß bestimmt sein. Ein Termin zur Beweisaufnahme wird erst zum Verhandlungstermin, wenn die Beweisaufnahme abgeschlossen ist. Ob es sich um den ersten oder einen späteren Verhandlungstermin handelt, ist hingegen gleichgültig.

Außerdem muss der Termin vor dem Prozessgericht bestimmt sein. In Terminen vor dem beauftragten oder ersuchten Richter kann also kein Versäumnisurteil ergehen.

III. Säumnis

Erst als nächster Punkt wird der Aspekt geprüft, der dem Versäumnisurteil seinen Namen gibt. Die Säumnis.

Definition: Sie liegt vor, wenn eine Partei, in einem ordnungsgemäß angeordneten Verhandlungstermin nach Aufruf der Sache (§ 220 ZPO) nicht erscheint oder nicht verhandelt (§ 333 ZPO).

Im Anwaltsprozess (§ 78 Abs. 1 ZPO) ist eine Partei auch dann säumig, wenn sie nicht durch einen Anwalt vertreten ist, da sie postulationsunfähig ist. Es kommt also darauf an, ob der Anwalt erscheint und verhandelt. Im Parteiprozess gelten die Regelungen der §§ 79, 157 ZPO.

Gemäß § 333 ZPO ist auch die Partei als nicht erschienen anzusehen, die im Termin zwar anwesend ist, aber nicht verhandelt.

Definition: Der Verhandlungsbegriff in § 333 ZPO ist weit gefasst, sodass jede aktive Beteiligung an der Erörterung des Rechtstreits als Verhandeln anzusehen ist.

Wer jedoch lediglich einen Antrag auf Vertagung oder Aussetzung stellt, der verhandelt nicht, sodass Säumnis vorliegt. Auch ist es möglich, dass Säumnis bezüglich eines selbstständigen Teils vorliegt, wenn die Partei ausschließlich zu diesem Teil nicht verhandelt. Hat die Partei aber einmal verhandelt, wird sie nicht dadurch säumig, dass sie den Termin vorzeitig verlässt.


Mögliche Säumnishandlungen, §§ 330 ff ZPO

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IV. Kein Erlasshindernis oder Vertagungsgrund, §§ 337, 335 ZPO

1. Kein Erlasshindernis, § 337 ZPO

Nun mehr ist § 337 ZPO zu prüfen. Dieser soll die unverschuldet ferngebliebene Partei schützen. Daher ist diese Vorschrift nicht anwendbar auf Fälle des § 333 ZPO, denn die nichtverhandelnde Partei ist nicht schutzwürdig im Sinne dieser Norm. Liegen die Voraussetzungen des § 337 vor, muss das Gericht vertagen. Ein Versäumnisurteil darf nicht ergehen.

Dies ist der Fall, wenn das Gericht der Meinung ist, dass die von dem Vorsitzenden bestimmte Einlassungs- oder Ladungsfrist zu kurz bemessen war oder die Partei ohne ihr Verschulden am Erscheinen gehindert ist. In welchen Fällen eine Frist zu kurz bemessen war, richtet sich nach den Umständen des spezifischen Einzelfalls.

Interessant ist jedoch die Frage, wann eine Partei ohne Verschulden säumig ist. Als unverschuldet wird es zum Beispiel angesehen, wenn eine bedürftige Partei nicht erscheint oder nicht verhandelt, solange über ihren Prozesskostenhilfeantrag noch nicht entschieden ist. Das gleiche gilt, wenn ihr Antrag in der mündlichen Verhandlung abgelehnt wird [LG Berlin WuM 11, 178].

Auch kann das Nichterscheinen eines Rechtsanwaltes unverschuldet sein, wenn unter den regionalen Anwälten die stetige Übung besteht, gegen eine anwaltlich vertretene Partei nicht vor Ablauf von 15 Minuten und nur nach telefonischer Rückfrage im Büro des Gegenanwaltes ein Versäumnisurteil zu beantragen. Dies gelte allerdings dann nicht, wenn die Interessen des eigenen Mandanten schwerer wiegen als kollegiale Rücksicht [BGH NJW 99, 2120].

Schuldhaft handelt aber der Anwalt, der zwar rechtzeitig zum Termin startet, dann aber in einen Stau gerät und nicht bei Gericht anruft, obwohl er sein Handy bei sich hat [BGH MDR 06, 829].

2. Kein Vertagungsgrund, § 335 ZPO

Auch darf kein Erlasshindernis nach § 335 ZPO vorliegen. Ergibt die Prüfung, dass ein solches Hindernis vorliegt, ist ein Versäumnisurteil unzulässig. Insoweit ergeht Beschluss, in dem der Prozessantrag auf Erlass eines Versäumnisurteils zurückgewiesen wird.

V. Zulässigkeit der Klage

Stets ist die Zulässigkeit der Klage zu prüfen, denn das Versäumnisurteil ist Sachurteil. Liegen also die Sachurteilsvoraussetzungen nicht vor, ergeht ein Prozessurteil. Nur wenn die Klage zulässig ist, kann Versäumnisurteil ergehen.


Sachurteilsvoraussetzungen einer Klage im Zivilprozess

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VI. Schlüssigkeit der Klage

Soll Versäumnisurteil gegen den Beklagten ergehen, ist die Schlüssigkeit – und NICHT die Begründetheit – der Klage zu prüfen.

Definition: Die Klage ist dann schlüssig, wenn sie allein unter Berücksichtigung der Tatsachen, die der Kläger vorgetragen hat, begründet ist.

Hierbei gilt das tatsächliche Vorbringen des Klägers als zugestanden. Fehlt es an der Schlüssigkeit, ergeht ein streitiges Urteil. Für die Klausur bedeutet es eine Prüfung wie man sie bereits aus dem ersten Staatsexamen kennt, denn der Sachverhalt steht dann aus sich des Klägers „fest“.

VII. Besonderheiten beim Versäumnisurteil gegen den Kläger

Wie bereits einleitend erwähnt, existieren zwei Besonderheiten, wenn das Versäumnisurteil gegen den Kläger ergehen soll.

Erstens wird in dieser Konstellation § 335 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nicht geprüft, da die Säumnisstrafe nach § 330 ZPO darin besteht, dass die Unbegründetheit der Klage fingiert wird. Dies gilt unabhängig davon, ob der Beklagte etwas vorgetragen hat und wann er es getan hat.

Zweitens ist die Schlüssigkeit der Klage nicht (!) zu prüfen. Das wäre auch überflüssig, denn die Säumnisstrafe besteht ja gerade darin, dass die Unbegründetheit der Klage fingiert wird.

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VIII. Folgen des Versäumnisurteils

Für das Staatsexamen ist aber nicht allein das (erste) Versäumnisurteil interessant, sondern insbesondere der damit verbundene, spezielle Rechtsbehelf des Einspruchs und dessen Folgen.

1. Der Einspruch, § 338 ZPO

Gegen ein Versäumnisurteil steht dem Beklagten als Rechtsbehelf der Einspruch zu (und nur der!). Der Einspruch ist binnen zwei Wochen zu erheben, § 339 I ZPO.

2. Die Folgen des Einspruchs

Ist der Einspruch zulässig, so wird der Prozess gem. § 342 ZPO in die Lage zurückversetzt, die er vor dem ergangenen Versäumnisurteil hatte. Dies bedeutet, dass wieder die Zulässigkeit und Begründetheit der Klage zu prüfen sind, der Beklagte kann mit einem zulässigen Einspruch also die Wirkungen des echten Versäumnisurteils gewissermaßen „umgehen“.

Ist die Klage – entgegen dem Versäumnisurteil – zulässig, aber unbegründet, so ergeht ein Endurteil, wodurch gleichzeitig das Versäumnisurteil aufgehoben wird. Ist die Klage hingegen zulässig und begründet, so wird das Versäumnisurteil aufrechterhalten, § 343 ZPO.

 3. Die Einkleidung in eine Klausur

In einer (Examens-)klausur wird der Fall typischerweise in den Einspruch des Beklagten gegen das ergangene Versäumnisurteil eingekleidet sein. Es wäre dann wie folgt zu prüfen:

  1.  Zulässigkeit des Einspruchs
    1. Form und Frist, §§ 339, 340 ZPO
    2.  Standhaftigkeit des Einspruchs, § 338 ZPO
  2. Wirkung des zulässigen Einspruchs (hier von „Begründetheit“ zu sprechen, ist quasi eine Todsünde!)
    1. Zulässigkeit der Klage
    2. Begründetheit der Klage

IX. Das zweite Versäumnisurteil, §§ 331 ff. ZPO

Zum Prüfungsumfang bei Erlass eines zweiten Versäumnisurteils wird auf diesen Beitrag verwiesen.



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