Das Strafprozessrecht ist geprägt von Verfahrensgrundsätzen. Diese Prinzipien sichern und gewährleisten die Durchführung eines rechtsstaatlichen Verfahrens. Im ersten juristischen Staatsexamen sind sie vor allem in mündlichen Prüfungen ein Dauerthema und im zweitem Staatsexamen in der Revisionsklausur ein Muss, da es ein häufiger Revisionsgrund ist. Demnach sollte hier nicht auf Lücke gesetzt werden. Zudem sind die Verfahrensgrundsätze logisch und einfach zu verstehen.

Bild: “Frankfurt am Main – Römerberg” von zacke82. Lizenz: CC BY 2.0


I. Legalitätsprinzip

§ 152 StPO lautet:

(1) Zur Erhebung der öffentlichen Klage ist die Staatsanwaltschaft berufen.
(2) Sie ist, soweit nicht gesetzlich ein anderes bestimmt ist, verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen.

Strafverfolgung ist die Pflicht der Staatsanwaltschaft. Bei einem Anfangsverdacht einer verfolgbarer Straftaten muss sie demnach verpflichtet sein, einzuschreiten, d.h. bei zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten Ermittlungen durchführen, § 152 Abs. 1 StPO. Sofern sich der Verdacht bestätigt, muss demnach bei hinreichendem Tatverdacht angeklagt werden, § 170 Abs. 1 StPO.

Die Polizei als Hilfsorgan der Staatsanwaltschaft trifft dieselbe Pflicht, § 163 Abs. 1 StPO.

Jedoch gilt das Legalitätsprinzip nicht uneingeschränkt. Das Gegenmodell ist das sog. Opportunitätsprinzip, wodurch die Möglichkeit der Einstellung eröffnet wird, §§ 153 ff. StPO.


Verfahrensgrundsätze im Strafrecht

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Das Legalitätsprinzip wird materiellrechtlich abgesichert durch die Strafvereitelung im Amt (§ 258a StGB) sowie prozessual durch das Klageerzwingungsverfahren, §§ 172 ff. StPO

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II. Akkusationsprinzip

Sofern die Staatsanwaltschaft am Ende der Ermittlungen zu dem Ergebnis kommt, dass ein hinreichender Tatverdacht vorliegt (s. Legalitätsprinzip), muss sie bei dem zuständigen Gericht Anklage erheben, § 170 Abs. 1 StPO.

Das Gericht darf jedoch ausschließlich über die Taten entscheiden, die angeklagt wurden. Die Eröffnung gerichtlicher Untersuchung ist demnach bedingt, § 151 StPO.

§ 151 StPO:

Die Eröffnung einer gerichtlichen Untersuchung ist durch die Erhebung einer Klage bedingt.

Die Anklage bestimmt demnach zunächst den Umfang gerichtlicher Untersuchung und Entscheidung, §§ 155 Abs. 1, 264 Abs. 1 StPO.

III. Offizialmaxime

Die Strafverfolgung als solche ist Aufgabe des Staates. Diesem obliegt ein sog. Anklagemonopol, § 152 Abs. 1 StPO:

Zur Erhebung der öffentlichen Klage ist die Staatsanwaltschaft berufen.

Da es um den staatlichen Strafanspruch geht, muss grundsätzlich von Amts wegen ohne Rücksicht auf den Willen der Beteiligten ermittelt und verfahren werden.

Es bestehen jedoch auch Einschränkungen bei:


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IV. Untersuchungsgrundsatz, § 160 StPO

Bei dem Strafprozess handelt es sich, anders als bei dem Zivilprozess um einen Amtsprozess.

Die Erforschung der materiellen Wahrheit erfolgt von Amts wegen durch die Staatsanwaltschaft (§ 160 Abs. 2 StPO) und das Gericht (§§ 155 Abs. 2, 202, 244 Abs. 2 StPO). Dabei sind sie zur Objektivität verpflichtet.

§ 160 StPO lautet:

(1) Sobald die Staatsanwaltschaft durch eine Anzeige oder auf anderem Wege von dem Verdacht einer Straftat Kenntnis erhält, hat sie zu ihrer Entschließung darüber, ob die öffentliche Klage zu erheben ist, den Sachverhalt zu erforschen.
(2) Die Staatsanwaltschaft hat nicht nur die zur Belastung, sondern auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln und für die Erhebung der Beweise Sorge zu tragen, deren Verlust zu besorgen ist.

An Vorbringen, Erklärungen und Anträge ist das Gericht dabei nicht gebunden, §§ 155 Abs. 2, 206 StPO. Ausnahme hierzu ist die Absprache, § 257c StPO.

V. Grundsatz der Mündlichkeit, § 261 StPO

Ausschließlich derjenige Stoff, der in der Hauptverhandlung mündlich vorgetragen und erörtert wurde, darf Grundlage des Urteils sein, § 261 StPO:

[…] nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Es gibt jedoch eine Ausnahme: §§ 249 Abs. 2, 257a StPO

VI. Grundsatz der Unmittelbarkeit

Das erkennende Gericht muss selbst diejenigen Beweise erheben, die es zugrunde legt und grundsätzlich das originäre Beweismittel ausschöpfen, §§ 261, 226, 250 StPO.

Dazu gibt es wiederum auch Ausnahmen:

  • Verlesung von Aussageprotokollen, §§ 251, 253, 254, 256 StPO
  • Vorführung von Videoaufzeichnungen einer Vernehmung, § 255a StPO

VII. Garantie des rechtlichen Gehörs, Art. 103 Abs. 1 GG

Aus der Garantie des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) folgt, dass der Angeklagte in der Hauptverhandlung Gelegenheit erhalten muss, sich gegenüber dem Gericht zu den mit der Anklageschrift erhobenen Vorwürfen zu äußern, Anträge zu stellen und Ausführungen zu machen.

Das Gericht wiederum muss diese zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen.

VIII. Unschuldsvermutung, Art. 6 EMRK, Art. 20 Abs. 3 GG

Mit der Unschuldsvermutung ist gemeint, dass jeder Verdächtige einer Straftat  die gesamten Dauer des Strafverfahrens über als unschuldig behandelt werden muss.

Er muss nicht seine Unschuld beweisen, sondern die Strafverfolgungsbehörde muss seine Schuld beweisen! Dieser Grundsatz ist v.a. in Art. 6 EMRK geregelt.

Passend dazu gilt es noch den Grundsatz „in dubeo pro reo“ zu erwähnen, welcher so viel wie „im Zweifel für den Angeklagten“ bedeutet. Er besagt, dass sich nach Ausschöpfung sämtlicher Beweismittel nicht aufzuräumende Zweifel im Hinblick auf die Tat- und Schuldfrage zugunsten des Angeklagten müssen. Damit gemeint ist, dass sofern berechtigte Zweifel an der Schuld des Angeklagtenbestehen, dieser freigesprochen werden muss!


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IX. Faires Verfahren, Art. 6 EMRK, Art. 20 Abs. 3 GG

Ferner bedarf ein faires Verfahren sog. fair Trial (Art. 6 EMRK und Art. 20 Abs. 3 GG) einer öffentliche Anhörung innerhalb einer zumutbaren Frist vor einem unabhängigen Gericht und eine effektive Verteidigung. Dies spiegeln auch die anderen Grundsätze zusammenfassend wieder.


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X. Öffentlichkeitsgrundsatz, Art. 6 EMRK, § 169 S. 1 GVG

Der Öffentlichkeitsgrundsatz ergibt sich aus Art. 6 EMRK und § 169 S. 1 GVG und besagt dass die Hauptverhandlung einschließlich der Verkündung öffentlich ablaufen muss. Die Information über Zeit und Ort müssen in zumutbarer Weise zugänglich gemacht werden.

Davon gibt es jedoch ebenfalls Ausnahmen:


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XI. Freie richterliche Beweiswürdigung, § 261 StPO

Nach diesem Grundsatz ist dem Richter nicht vorgeschrieben, unter welchen Voraussetzungen er eine Tatsache für bewiesen hält. Er entscheidet nach freiem Ermessen.

§ 261 StPO lautet:

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung

Er muss sich aber an Denkgesetze, Erfahrungssätze und wissenschaftliche Erkenntnisse dabei halten. Maßgeblich ist mithin die persönliche Überzeugung des Richters, gemessen an objektiven Tatsachengrundlagen.  Gesetzlichen Bestimmungen und Beweisverwertungsverbote sind stets zu beachten.

Dabei gilt eine Ausnahme zu beachten: §§ 186, 190 StGB, 274 StPO, 51 Abs. 1 BZRG

XII. Beschleunigungsgrundsatz und Konzentrationsmaxime

Der Beschleunigungsgrundsatz und die Konzentrationsmaxime ergeben sich aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG. Der Beschuldigte soll innerhalb einer angemessenen Frist über den Strafvorwurf Klarheit erhalten.


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XIII. Garantie des gesetzlichen Richters, Art. 101 GG

Geregelt ist diese Garantie in Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG und in § 16 GVG und besagt, dass jeder einen Anspruch darauf hat, dass im Voraus festgelegt wird, welcher Richter für welchen Fall zuständig ist.

Dies ergibt sich aus dem Geschäftsverteilungsplan des jeweiligen Gerichtes.

XIV. Verbot der Doppelbestrafung

Es gilt das Verbot erneuter Bestrafung sowie erneuter Strafverfolgung auch nach Freispruch wegen derselben Tat (ne bis in idem).

XV. Nemo tenetur, Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG

Der Grundsatz sagt aus, dass niemand verpflichtet ist, sich selbst zu belasten! Abgesichert wird dies durch das Recht, zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu schweigen, § 136 Abs. 1 StPO, § 55 Abs. 1 StPO.

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