Rechtsquellen des Unionsrechts im Überblick

Rechtsquellen des Unionsrechts im Überblick

Das Europarecht ist im Jurastudium und in der juristischen Praxis von immenser Bedeutung. Klausuren im Staatsexamen spielen daher immer öfter in einem europarechtlichen Kontext. Jurastudierende sollten daher schon früh ihren Fokus auf dieses interessante Rechtsgebiet legen. Dieser Beitrag vermittelt den Überblick über die verschiedenen Rechtsquellen des Unionsrechts.
unionsrecht
Lecturio Redaktion

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26.01.2024

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I. Einleitung

Das Recht der Europäischen Union setzt sich zusammen aus dem Primärrecht und dem Sekundärrecht. Ersteres umfasst die Gründungsverträge der Europäischen Union. Beim Sekundärrecht handelt es sich um das von den Unionsorganen geschaffenen Recht. Zum Unionsrecht zählen weiterhin die völkerrechtlichen Verträge, denen die Europäische Union beigetreten ist.

Recht der Europäischen Union
PrimärrechtSekundärrechtVölkerrechtliche Verträge
  • EUV
  • AEUV
  • Euratom
  • Grundrechte-Charta
  • Allgemeine Rechtsgrundsätze
  • Verordnung
  • Richtlinie
  • Beschluss
  • Empfehlung/Stellungnahme
  • Mit Staaten
  • Mit Internationalen Organisationen

II. Primärrecht

Die Grundordnung der Europäischen Union wird durch das Primärrecht bestimmt. Dieses besteht aus den völkerrechtlichen Verträgen, die zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union abgeschlossen wurden bzw. denen neuere Mitgliedstaaten beigetreten sind. Zu diesen Verträgen zählen der Vertrag über die Europäische Union (EUV), der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom). Gleichrangig daneben steht die europäische Grundrechte-Charta, die aufgrund der sich aus Art. 6 I EUV ergebenden Bindungswirkung im Rang des Primärrechts steht.

Das Primärrecht steht an der Spitze der Normenhierarchie des Unionsrechts. Es muss daher von den Organen der EU insbesondere beim Erlass von Sekundärrecht beachtet werden. Eine Besonderheit des Unionsrechts ist seine unmittelbare Geltung. Anders als bei völkerrechtlichen Verträgen bedarf es keiner Umsetzung des Primärrechts in den Mitgliedstaaten.

Vielmehr wird durch das Primärrecht eine eigenständige Rechtsordnung geschaffen. Unionsbürger können sich gegenüber den Mitgliedstaaten unmittelbar auf das Primärrecht berufen, sofern es unbedingt formuliert ist und es keiner weiteren Handlung eines Mitgliedsstaats oder eines Organs der EU bedarf.

III. Allgemeine Rechtsgrundsätze

Sofern bei der Anwendung von Primärrecht Fragen offen bleiben, greift der EuGH auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze zurück. Diese zählen zu den klassischen Quellen des Völkerrechts i.S.d. Art. 38 I des Statuts des Internationalen Gerichtshofs. Allgemeine Rechtsgrundsätze bestehen aus den rechtlichen Grundsätzen, die in den meisten Rechtsordnungen der Staaten gelten.

Durch Rechtsvergleichung können aus den Verfassungen der Mitgliedsstaaten und der Europäischen Menschenrechtskonvention diese allgemeinen Rechtsgrundsätze ermittelt werden. Insbesondere bei der Staatshaftung wegen Verstößen gegen das Unionsrecht werden die allgemeinen Rechtsgrundsätze herangezogen.

IV. Sekundärrecht

Das Sekundärrecht wird von den Unionsorganen erlassen. Diese haben die Wahlmöglichkeit zwischen den in Art. 288 AEUV aufgezählten Rechtsakten. Genannt werden dort die Verordnung, die Richtlinie, der Beschluss, die Empfehlung und die Stellungnahme. Sie zeichnen sich durch unterschiedliche Auswirkungen auf die nationalen Rechtsordnungen aus.

Sekundärrecht
VerordnungRichtlinieBeschlussEmpfehlung/Stellungnahme

1. Verordnung

Die Verordnung gilt unmittelbar, allgemein und in allen ihren Teilen verbindlich in allen Mitgliedsstaaten ohne dass es eines Umsetzungsakts bedarf. Sie ist in ihrer Wirkung mit einem Gesetz vergleichbar.


Wirkung der Verordnung gem. Art. 289 AEUV.
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2. Richtlinie

Die Richtlinie ist für die Mitgliedsstaaten hinsichtlich des Ziels der Richtlinie verbindlich. Durch welche Form und Mittel dieses Ziel in den Mitgliedsstaaten erreicht wird, ist den Mitgliedsstaaten überlassen. Im Gegensatz zur Verordnung schont die Richtlinie daher die Souveränität der Mitgliedsstaaten und ermöglicht eine mit der nationalen Rechtsordnung harmonisierte Umsetzung. In der Richtlinie wird eine Frist genannt zu der die Richtlinie in das nationale Recht umgesetzt werden muss.


Die Richtlinie gem. Art. 289 III AEUV.
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Sofern ein Mitgliedsstaat eine Richtlinie nicht innerhalb der Umsetzungsfrist in das nationale Recht umsetzt, muss das nationale Recht richtlinienkonform ausgelegt werden. Da die Richtlinien an die Mitgliedsstaaten gerichtet sind, können sich Unionsbürger nicht unmittelbar auf sie berufen. Allerdings hat der EuGH für Fälle, in denen ein Mitgliedsstaat eine Richtlinie nicht fristgemäß umsetzt, die unmittelbare Anwendbarkeit von Richtlinien entwickelt.


Folgen fehlender Umsetzung der Richtlinie in den Mitgliedstaaten innerhalb der vorgeschriebenen Frist.
Folgen fehlender Umsetzung der Richtlinie in den Mitgliedstaaten innerhalb der vorgeschriebenen Frist.
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Voraussetzungen sind:

  • Der Ablauf der Umsetzungsfrist
  • Die Richtlinie muss den Unionsbürger begünstigen
  • Der Inhalt der Richtlinie muss unbedingt und hinreichend bestimmt sein

3. Beschluss

Beschlüsse sind ebenso wie Verordnungen verbindlich und gelten unmittelbar. Allerdings sind diese an bestimmte Adressaten wie Einzelpersonen oder Unternehmen oder Mitgliedsstaaten gerichtet und nur für diese verbindlich. Das Mittel des Beschlusses eignet sich daher zur Regelung von Einzelfällen.

4. Empfehlungen und Stellungnahmen

Empfehlungen und Stellungnahmen sind für die Mitgliedsstaaten nicht verbindlich. Allerdings müssen diese von den nationalen Gerichten bei der Auslegung von Europarecht beachtet werden.

Quellen

  • Degenhart, Christoph: Staatsrecht I, Staatsorganisationsrecht, 28. Auflage 2012.
  • Herdegen, Matthias: Europarecht, 11. Auflage 2009.
  • Hobe Stephan: Europarecht, 4. Auflage 2009.
  • Entscheidung EuGH unmittelbare Anwendbarkeit von Primärrecht: Slg 1963 S. 1, Rs. 26/62 – van Gend & Loos

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