Immer wieder gerne werden in öffentlich-rechtliche Fälle europarechtliche Probleme eingebaut. Oft geschieht dies als Zusatzfrage, sodass die europarechtlichen Themen außerhalb der vorherigen Prüfung erfolgen. Geht es jedoch um die Rücknahme von Verwaltungsakten, so durchziehen die unionsrechtlichen Besonderheiten die gesamte Fallprüfung.
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krockenmitte / photocase.de



I. Hintergrund

Das Unionsrecht stellt eine über dem nationalen Bundesrecht stehende Rechtsordnung dar, deren Regelungen für die Mitgliedsstaaten verbindlich sind. Dabei haben sie die Pflicht, für die effektive Umsetzung des Unionsrechts im innerstaatlichen Gebiet zu sorgen. Dieses Effektivitätsgebot (sog. effet utile) ist in Art. 4 III EUV niedergeschrieben.

„3) (…) Die Mitgliedstaaten ergreifen alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben. Die Mitgliedstaaten unterstützen die Union bei der Erfüllung ihrer Aufgabe und unterlassen alle Maßnahmen, die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten.“

Der Staat und seine Behörden haben also dafür zu sorgen, dass bei allem staatlichen Handeln die unionsrechtlichen Vorgaben gewahrt werden. Das bedeutet auch, dass unionsrechtswidrige Zustände nach Möglichkeit aus der Welt geschafft werden. Damit hat die Unionsrechtswidrigkeit eine Verwaltungsakts unmittelbare Auswirkungen auf dessen Rücknahme.

II. Die Prüfung der Rücknahme

Beispiel: Die B-AG ist im Bereich der Windenergie tätig. Im Jahr 2008 erhielt sie auf der Grundlage eines Bewilligungsbescheides Beihilfen im Rahmen eines Subventionsprogramms des Bundes. Damit sollte der Bau eines neuen Windparks ermöglicht werden. Insgesamt beliefen sich die Subventionen auf 5 Millionen Euro. Eine vorherige Benachrichtigung der Komission nach Art. 108 I 1 AEUV fand nicht statt. Als die Kommission der EU von der Beihilfe erfuhr, überprüfte sie diese und teilte sodann der zuständigen Behörde mit, dass die Subvention gem. Art.107 AEUV mit dem Binnenmarkt unvereinbar sei. Daraufhin nahm die zuständige Bundesbehörde nach Anhörung der B-AG den Bewilligungsbescheid von 2008 zurück. Dagegen wehrt sich die B-AG mit einer Klage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht.

1. Rechtsgrundlage für die Rücknahme

Verstößt ein Subventionsbescheid gegen das Notifizierungsgebot des Art. 108 I 1 AEUV, so ist er rechtswidrig. Die Ermächtigungsgrundlage ist damit § 48 VwVfG.

2. Formelle Rechtmäßigkeit

Hier ergeben sich keine Besonderheiten, es sind die üblichen Punkte (Zuständigkeit, Verfahren und Form) zu prüfen.

3. Materielle Rechtmäßigkeit

Hier sollte vor Beginn der Prüfung noch einmal klar gestellt werden, was genau die einschlägige Rechtsgrundlage ist. In Frage kommen folgende Normen:

  • 48 I VwVfG (Rücknahme rechtswidriger, belastender VA)
  • 48 II VwVfG (Rücknahme begünstigender VA, die eine Geld- oder Sachleistung gewähren)
  • 48 III VwVfG (Rücknahme sonstiger begünstigender VA)
  • 50 VwVfG (Rücknahme im Rechtsbehelfsverfahren)

Variante 1: Rücknahme nach § 48 I VwVfG

Um die Durchsetzung des Unionsrecht ausreichend zu gewährleisten, ist das Rücknahmeinteresse der Behörde regelmäßig auf Null reduziert.

Variante 2: Rücknahme nach § 48 II VwVfG

a. Vertrauen auf den VA

Zunächst muss der Adressat überhaupt auf die Gültigkeit des VA vertraut haben. Auf Vertrauen kann er sich dabei nicht berufen, wenn einer der Fälle des § 48 II 3 Nr. 1-3 VwVfG vorliegt. Hier wird regelmäßig interessant werden, inwiefern der Adressat die Unionsrechtswidrigkeit kannte oder hätte kennen müssen.

Der EuGH ist dabei sehr streng und geht davon aus, dass zumindest größere Unternehmen das Notifizierungsverfahren nach Art. 108 I AEUV kennen, weshalb auch eine Nachfrage bei der Kommission erwartet werden kann. Unterbleibt diese, läge grundsätzlich grobe Fahrlässigkeit i.S.d. § 48 II 3 VwVfG vor.

b. Schutzwürdigkeit des Vertrauens

Weiterhin muss das Vertrauen auch schutzwürdig sein. Nach § 48 II 2 VwVfG ist dies in der Regel der Fall, wenn der Begünstigte die ihm gewährte Subvention verbraucht hat. Diese Regelvermutung hat vor allem fiskalische Hintergründe: im Falle eines Verbrauchs der gewährten Subventionen bestünde nach deren Rückforderung eine Entschädigungspflicht nach § 48 III VwVfG. Angesichts dessen hat der Gesetzgeber aus verfahrensökonomischen Gründen die Regelvermutung des § 48 II 2 VwVfG geschaffen. Bei europarechtswidrigen Subventionen geht es jedoch nicht allein um fiskalische Interessen der Bundesrepublik, sondern auch deren Verpflichtung zur effektiven Umsetzung aus Art.4 III EUV. Aus diesem Grund greift die Regelvermutung bei unionsrechtswidrigen Bescheiden nicht.

c. Abwägung Vertrauensinteresse und Rücknahmeinteresse

Schließlich müssen das Bestandsinteresse des Begünstigten und das Rücknahmeinteresse der Behörde gegeneinander abgewogen werden. Bei unionsrechtswidrigen Verwaltungsakten fällt diese Abwägung wegen Art.4 III EUV in aller Regel zugunsten des Rücknahmeinteresses aus. Andernfalls könnten auch die Regelungen der Art. 107, 108 AEUV einfach von den Mitgliedsstaaten umgangen werden.

Ermessen

Im Rahmen des Ermessens ist das Abwägungsinteresse mit zu berücksichtigen. Im Falle unionsrechtswidriger Bescheide liegt in aller Regel eine Ermessensreduktion auf Null vor.

Frist, § 48 IV VwVfG

Schließlich schlägt sich die Unionsrechtswidrigkeit auch auf § 48 IV VwVfG nieder: die Jahresfrist ist in der Regel nicht anwendbar.







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