Ob spektakuläre Fälle von Entführungsopfern, die nach Jahren wieder in Freiheit sind, oder der Hausarrest, der hinter einer abgeschlossenen Zimmertür verbracht werden soll: Die Freiheitsberaubung spielt in den unterschiedlichsten Fallkonstellationen eine Rolle, sodass der § 239 StGB im Examen beherrscht werden sollte. Dieser Beitrag enthält das Schema sowie die examensrelevanten Definitionen der Freiheitsberaubung (§ 239 StG).
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Bild: “Tyler Arboretum Root Cellar” von Thomas. Lizenz: CC BY-ND 2.0


I. Allgemeines zur Freiheitsberaubung, § 239 StGB

§ 239 Abs. 1 StGB lautet:

Wer einen Menschen einsperrt oder auf andere Weise der Freiheit beraubt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Geschütztes Rechtsgut des § 239 StGB ist die Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung in Bezug auf die Freiheit der Person zur Veränderung des Aufenthaltsortes. Geschützt ist derjenige, der einen bestimmten Ort verlassen möchte und hieran gehindert wird.

Die Freiheitsberaubung  (§ 239 StGB) ist ein Dauerdelikt. Die Freiheitsberaubung ist vollendet, wenn es dem Opfer für eine bestimmte Zeit unmöglich gemacht wird, seinen Aufenthaltsort zu verändern. Die Tat ist erst beendet, wenn der Freiheitsentzug wieder aufgehoben ist.

Gemäß § 239 Abs. 2 StGB ist auch der Versuch der Freiheitsberaubung strafbar.

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II. Schema der Freiheitsberaubung, § 239 StGB

Du kannst dich an diesem Prüfungsschema zur Freiheitsberaubung (§ 239 StGB) orientieren:

  • I. Tatbestand
  • 1. Objektiver Tatbestand
    • a) Tatobjekt: Anderer Mensch
    • b) Tathandlung: Einsperren oder Berauben der Freiheit auf andere Weise
  • 2. Subjektiver Tatbestand: Dolus eventualis
  • II. Rechtswidrigkeit
  • III. Schuld

III. Voraussetzungen der Freiheitsberaubung, § 239 StGB

Damit der objektive Tatbestand erfüllt ist, müssen folgende Voraussetzungen gegeben sein:

1. Tatobjekt

Der Täter muss ein taugliches Tatobjekt seiner Freiheit berauben. Taugliches Tatobjekt ist grundsätzlich jeder andere Mensch. Es wird jedoch angenommen, dass Kinder unter einem Jahr nicht in der Lage sind, einen eigenen Fortbewegungswillen zu bilden. Demnach kommen sie auch nicht als Tatopfer in Frage.

Fraglich ist aber, ob Personen Opfer einer Freiheitsberaubung sein können, die zum Tatzeitpunkt schlafen oder bewusstlos sind.

Beispiel: O wurde von T bewusstlos auf der Straße gefunden. T will den O gesundpflegen und verfrachtet ihn in sein Gästezimmer. Beim Hinausgehen schließt er hinter sich die Tür ab.

  • Hierzu wird einerseits vertreten, dass § 239 StGB nur die aktuelle Fortbewegungsfreiheit schütze. Das Opfer müsse also zum Zeitpunkt der Tat den Willen haben, den Ort zu verlassen, damit eine Strafbarkeit begründet werden könne (Aktualitätstheorie).
    Da O noch bewusstlos ist, kann er einen solchen Willen gegenwärtig nicht bilden. Danach kommt eine Freiheitsberaubung nicht in Betracht.
  • Nach anderer Ansicht sei maßgeblich, ob die Möglichkeit besteht, dass die betroffene Person sich fortbewegen kann, wenn sie dies möchte (Aktualisierbarkeitstheorie). Dies wird bei Schlafenden und Bewusstlosen erst relevant, sobald sie erwacht sind.
    Im Beispielsfall ist O immer noch bewusstlos. Demnach würde T sich auch nach diesem Ansatz nicht wegen einer Freiheitsberaubung strafbar machen.
  • Nach herrschender Meinung schützt § 239 StGB die potentielle Fortbewegungsfreiheit (Potentialitätstheorie). Es sei dieser zufolge egal, ob der Betroffene überhaupt weiß, dass er an der Fortbewegung gehindert ist bzw. ob er sich fortbewegen will. Demnach kann auch ein Schlafender oder Bewusstloser von einer Freiheitsberaubung betroffen sein.
    Hiernach begeht T dem O gegenüber eine Freiheitsberaubung.

Für die Potentialitätstheorie kann man bereits argumentieren, dass es nicht als sinnvoll erscheint, die Frage nach der Strafbarkeit des T davon abhängig zu machen, ob O aus seiner Bewusstlosigkeit erwacht oder nicht.

2. Tathandlungen

Gemäß § 239 Abs. 1 StGB muss der Täter das Opfer einsperren oder es auf andere Weise der Freiheit berauben. Die Variante des Einsperrens ist dabei nur als Beispiel genannt.

Definition: Einsperren meint, dass der Täter das Opfer mithilfe äußerer Vorrichtungen gegen seinen Willen daran hindert, den Raum zu verlassen, wobei die Vorrichtung nicht unüberwindbar sein muss.

Der Begriff des Einsperrens umfasst, ganz dem Wortsinn nach, nicht das Aussperren. § 239 Abs. 1 StGB ist nicht einschlägig, wenn der Betroffene daran gehindert wird, einen Raum zu betreten.

Definition: Der Täter beraubt das Opfer auf andere Weise der Freiheit, wenn dies durch ein anderes Verhalten als durch das Einsperren geschieht.

Hier kommt etwa die Anwendung von Gewalt, Drohungen oder einer List in Betracht. Dabei ist aber nicht jede Drohung ausreichend. Stattdessen muss der Täter eine gegenwärtige Gefahr für Leib oder Leben in Aussicht stellen.

Eine Freiheitsberaubung (§ 239 StGB) ist nicht anzunehmen, wenn das Opfer nur für einen sehr kurzen Zeitraum in seiner Fortbewegung eingeschränkt ist. Das Reichsgericht hat als Maßstab die Länge eines „Vaterunser“ angelegt.


Freiheitsberaubung, § 239 StGB

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Zu beachten ist, dass das Einverständnis des Opfers im Rahmen der Freiheitsberaubung (§ 239 StGB) bereits tatbestandsausschließende Wirkung hat.

Umstritten ist, ob ein erteiltes Einverständnis wirksam sein kann, wenn Willensmängeln vorliegen.


Freiheitsberaubung, § 239 StGB

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3. Subjektiver Tatbestand

Der subjektive Tatbestand erfordert lediglich bedingten Vorsatz.

IV. Qualifikation der Freiheitsberaubung, § 239 Abs. 3 StGB

§ 239 StGB enthält weiterhin verschiedene Qualifikationen. Gemäß § 239 Abs. 3 Nr. 1 StGB begeht der Täter ein Verbrechen, wenn er das Opfer länger als eine Woche der Freiheit beraubt. Hierbei handelt es sich um eine echte Qualifikation, sodass der Vorsatz des Täters sich auch auf die Dauer der Freiheitsberaubung beziehen muss.

Demgegenüber beinhaltet § 239 Abs. 3 Nr. 2 StGB eine Erfolgsqualifikation für den Fall, dass durch die Tat oder eine während der Tat begangene Handlung eine schwere Gesundheitsschädigung des Opfers verursacht wird.

Definition: Eine schwere Gesundheitsschädigung ist anzunehmen, wenn eine langwierige ernste Krankheit oder erhebliche Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit für längere Zeit anzunehmen ist.

§ 239 Abs. 4 StGB greift, wenn der Täter durch die Tat oder eine während der Tat begangene Handlung den Tod des Opfers verursacht. Bei beiden Varianten ist § 18 StGB anwendbar, sodass der Täter hinsichtlich der schweren Folge wenigstens Fahrlässigkeit aufweisen muss.

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