Der Brokdorf-Beschluss ist die Grundsatzentscheidung des BVerfG in Sachen Versammlungsrecht. Insbesondere ein Bezug auf die erstmals behandelte Versammlungsfreiheit darf in keiner Klausur, die das Versammlungsrecht zum Gegenstand hat fehlen. Der nachfolgende Artikel umfasst den Sachverhalt des Rechtsstreits sowie die Leitsätze des BVerfG.
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Demonstration Brokdorf

Bild: “demonstration right” von Thomas8047. Lizenz: CC BY 2.0


I. Sachverhalt (BVerfGE 69, 315)

Nahe der Gemeinde Brokdorf sollte ein Kernkraftwerk errichtet werden. Bereits während 1976 fanden Demonstrationen statt, die partiell einen gewaltsamen Verlauf nahmen. Nach Planung der Bürgerinitiativen vom 14.02.1981 sollte am 28.02.1981 eine Großdemonstration stattfinden, zu deren Beteiligung sie öffentlich aufriefen.
Die Großdemo sollte am 23. 02. 1981 offiziell angemeldet werden. An eben diesem Tag erließ der Landrat des Kreises Steinburg eine Allgemeinverfügung. Die Allgemeinverfügung enthielt das Verbot aller gegen das Kernkraftwerk gerichteten Demos am Baugelände sowie den umliegenden Gebiet während des Zeitraums vom 27.02. – 01.03.1981. Die Verfügung wurde für sofort vollziehbar erklärt.

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Grund für das Demonstrationsverbot sei, dass bisher keine Anmeldung gem. § 14 VersG erfolgt sei. Selbst wenn eine Anmeldung vorgelegen hätte, so hätte die Versammlung untersagt werden müssen, da unfriedliche Aktionen erwartet werden würden. Diese Annahme beruhe auf Zeitungsberichten, Angaben in diversen Flugblättern sowie aus Erfahrungen bei vorangegangenen Demos.
Die Bürgerinitiative legte gegen die Allgemeinverfügung Widerspruch ein. Dieser wurde vom Landrat zunächst nicht beschieden, sondern erst im Sommer zurückgewiesen. Das VG ordnete am 27.02.1981 die teilweise Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs an und besagte, dass das Verbot nicht für das gesamte Gebiet gelte.
Der Landrat wandte sich gegen die Entscheidung des VG und erhob Beschwerde vor dem OVG. Das OVG änderte die Beschlüsse noch in der Nacht zum 28.02.1981 dahingehend ab, dass die Anträge auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung vollumfänglich zurückgewiesen wurden. Grund hierfür sei, dass tatsächlich eine Gefahr bestünde und seitens des Landrats keine Ermessensfehler ersichtlich seien.
Das OVG führt weiter aus, dass es fraglich sei, ob eine nicht angemeldete Versammlung unter dem Schutz des Art 8 GG stehe, denn die versammlungsrechtliche Garantie sei durch die Anmeldepflicht eingeschränkt.
Noch in der Nacht des 28.02.1981 legte der Bürgerverein gegen dieses Urteil Verfassungsbeschwerde ein. Die Entscheidung erging jedoch erst im Mai 1985. Der Antrag auf einstweilige Anordnung blieb erfolglos.
Trotz der Entscheidungen der Gerichte fand am 28.02.1981 eine Demonstration gegen den Bau des Kernkraftwerks satt. An dieser nahmen mehr als 50.000 Bürger, zumeist friedlich, teil.

II. Leitsätze BVerfGE 69, 315 ff

1. Unentbehrliches Funktionselement des demokratischen Gemeinwesens

Das Recht des Bürgers, durch Ausübung der Versammlungsfreiheit aktiv am politischen Meinungsbildungsprozess und Willensbildungsprozess teilzunehmen, gehört zu den unentbehrlichen Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens. Diese grundlegende Bedeutung des Freiheitsrechts ist vom Gesetzgeber beim Erlass grundrechtsbeschränkender Vorschriften sowie bei deren Auslegung und Anwendung durch Behörden und Gerichte zu beachten. (BVerfGE 69, 315)

2. Anmeldepflicht, Auflösung, Verbot

Die Regelung des Versammlungsgesetzes über die Pflicht zur Anmeldung von Veranstaltungen unter freiem Himmel und über die Voraussetzungen für deren Auflösung oder Verbot (§§ 14, 15) genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen, wenn bei ihrer Auslegung und Anwendung berücksichtigt wird, dass
a) die Anmeldepflicht bei Spontandemonstrationen nicht eingreift und ihre Verletzung nicht schematisch zur Auflösung oder zum Verbot berechtigt,
b) Auflösung und Verbot nur zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und nur bei einer unmittelbaren, aus erkennbaren Umständen herleitbaren Gefährdung dieser Rechtsgüter erfolgen dürfen. (BVerfGE 69, 315, 316)

3. Versammlungsfreundliches Verhalten der Behörden

„Die staatlichen Behörden sind gehalten, nach dem Vorbild friedlich verlaufender Großdemonstrationen versammlungsfreundlich zu verfahren und nicht ohne zureichenden Grund hinter bewährten Erfahrungen zurückzubleiben.
Je mehr die Veranstalter ihrerseits zu einseitigen vertrauensbildenden Maßnahmen oder zu einer demonstrationsfreundlichen Kooperation bereit sind, desto höher rückt die Schwelle für behördliches Eingreifen wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit.“ (BVerfGE 69, 315)

4. Garantierter Schutz der Versammlungsfreiheit, Ausschöpfung der Mittel

„Steht nicht zu befürchten, dass eine Demonstration im Ganzen einen unfriedlichen Verlauf nimmt oder dass der Veranstalter und sein Anhang einen solchen Verlauf anstreben oder zumindest billigen, bleibt für die friedlichen Teilnehmer der von der Verfassung jedem Staatsbürger garantierte Schutz der Versammlungsfreiheit auch dann erhalten, wenn mit Ausschreitungen durch Einzelne oder eine Minderheit zu rechnen ist.“ (BVerfGE 69, 315)
In einem solchen Fall setzt ein vorbeugendes Verbot der gesamten Veranstaltung strenge Anforderungen an die Gefahrenprognose sowie die vorherige Ausschöpfung aller sinnvoll anwendbaren Mittel voraus, welche den friedlichen Demonstranten eine Grundrechtsverwirklichung ermöglichen.“ (BVerfGE 69, 315)

5. intensivere Prüfung des Sofortvollzugs eines Demonstrationsverbots

„Die Verwaltungsgerichte haben schon im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes durch eine intensivere Prüfung dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Sofortvollzug eines Demonstrationsverbotes in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung führt.“ (BVerfGE 69, 315)



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