Auf den ersten Blick klingen die Begriffe Anhängigkeit und Rechtshängigkeit ganz ähnlich. Dennoch sollten sie in einer Klausur (oder gar im Examen) auf keinen Fall verwechselt und durcheinandergebracht werden. Worin der Unterschied liegt und wo diese Begriffe relevant werden, wird nachfolgend erklärt.
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Rechtshängigkeit

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I. Anhängigkeit

Definition: Von der Anhängigkeit einer Klage spricht man, sobald die Klage bei Gericht eingegangen ist.

Beispiel: A erhebt Klage beim Amtsgericht Leipzig auf Erfüllung aus einem Kaufvertrag gegen B. Die Klage wird dem Gericht am 10.04. zugestellt. Damit ist die Klage ab dem 10.04. bei Gericht anhängig.

Relevanz der Anhängigkeit

Die wohl wichtigste praktische Relevanz der Anhängigkeit besteht im Rahmen der Verjährungshemmung nach § 167 ZPO. Dort heißt es

Soll durch die Zustellung eine Frist gewahrt werden oder die Verjährung neu beginnen oder nach § 204 BGB gehemmt werden, tritt diese Wirkung bereits mit Eingang des Antrags oder der Erklärung ein, wenn die Zustellung demnächst erfolgt.

Durch § 167 ZPO wird also die Wirkung der Zustellung der Klage auf den Zeitpunkt der Einreichung der Klage (= Anhängigkeit) zurück verlagert, sofern die Zustellung demnächst erfolgt. Fristen i.S.d. § 167 ZPO sind alle materiellen und prozessualen Fristen, deren Ablauf durch Klageerhebung unterbrochen wird. Die für Studenten wohl wichtigste Frist ist die Verjährung, §§ 194 ff. BGB.

Hinter § 167 ZPO steht der Gedanke, dass keine Partei ein Verzögerungsrisiko tragen soll, das außerhalb ihrer Einflusssphäre liegt. Positiv formuliert: Einer Partei sind Verzögerungen bei der Zustellung nicht zuzurechnen, wenn die Ursache bei Gericht liegt. Dies bedeutet aber auch, dass die Klage dann nicht „demnächst zugestellt“ i.S.d. § 167 ZPO ist, wenn der Kläger (oder sein Prozessbevollmächtigter) durch nachlässiges Verhalten zu einer nicht nur ganz geringfügigen Verzögerung der Zustellung zumindest mit beigetragen hat. Von einer solchen „nicht nur ganz geringfügigen Verzögerung“ kann etwa bei einer durch die Nachlässigkeit verursachten Verspätung von mehr als 2 Wochen ausgegangen werden.

Um die Wirkung von § 167 ZPO noch einmal klar zu machen, hier ein Beispiel:

A hat gegen B einen Anspruch auf Zahlung von 400 € aus § 433 Abs. 2 BGB. Der Anspruch ist am 01.04.2010 entstanden. Dieser Anspruch unterliegt der regelmäßigen Verjährungsfrist von 3 Jahren (§ 195 BGB). Daher beginnt der Fristlauf am 31.12. 2010 um 24.00 Uhr, § 199 Abs. 1 BGB. Am 15.12.2013 hat B immer noch nicht gezahlt, weshalb A Klage erhebt. Die Klage geht am 20.12.2013 bei Gericht ein. Die Klage wird wegen Überlastung des Gerichts jedoch erst am 03.01.2014 zugestellt.

Die Verjährung kann gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB durch Klageerhebung gehemmt werden. Eine Klageerhebung liegt aber erst mit Zustellung der Klageschrift vor (§ 253 ZPO). Die Zustellung erfolgt am 03.01.2014 und damit nach Ablauf der Verjährungsfrist. Hier hilft dem A jedoch der § 167 ZPO weiter: Dieser fingiert für den Beginn der Verjährungshemmung den Tag der Anhängigkeit der Klage, hier also der 20.12.2013. Damit ist die Verjährung gehemmt und A kann seinen Anspruch gerichtlich geltend machen.

II. Rechtshängigkeit einer Klage

Definition: Rechtshängig wird eine Klage grundsätzlich mit Zustellung der Klageschrift an den Beklagten.

Dies folgt aus § 261 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 253 Abs. 1 ZPO.

Beispiel: A erhebt Klage beim Amtsgericht Leipzig auf Erfüllung aus einem Kaufvertrag gegen B. Die Klage wird dem Gericht am 10.04. zugestellt. Die Zustellung der Klageschrift an B erfolgt am 18.04.; damit ist die Klage am 10.04. anhängig und am 18.04. rechtshängig geworden.

Relevanz der Rechtshängigkeit

Mit der Rechtshängigkeit sind zahlreiche Wirkungen verbunden:

  • nach § 261 Abs. 3 Nr.1 ZPO wird ein weiterer Rechtsstreit in derselben Sache unzulässig;
  • nach § 261 Abs. 3 Nr.2 ZPO wird die Zuständigkeit des Prozessgerichts durch Veränderung der sie begründenden Umstände nach Rechtshängigkeit nicht mehr berührt, mit anderen Worten: Das zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit zuständige Gericht bleibt zuständig
  • nach § 263 ZPO ist eine Änderung der Klage nur zulässig, wenn der Beklagte einwilligt oder das Gericht sie für sachdienlich erachtet, sofern kein Fall von § 264 ZPO vorliegt;

Daneben hat die Rechtshängigkeit noch weitere materiell-rechtliche und damit besonders für Klausur und Hausarbeit relevante Wirkungen:

  • Hemmung der Verjährung, § 204 BGB
  • Verschärfte Haftung; dies betrifft sowohl das Bereicherungsrecht (§ 818 Abs. 4 BGB, der in die allgemeinen Vorschriften verweist) als auch das EBV ( §§ 987, 989 BGB)
  • spätestens mit Rechtshängigkeit gerät der Schuldner auch ohne vorherige Mahnung in Verzug, § 286 Abs. 1 BGB
  • ab Rechtshängigkeit entsteht der Anspruch auf Zahlung von Prozesszinsen, §§ 291, 288 BGB


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2 Gedanken zu „Anhängigkeit und Rechtshängigkeit der Klage

  • Hoffmann

    Schadensersatz gegen Rechtsanwalt (RA) wegen Schlechterfüllung. RA reagiert nicht. Mandant beantragt Mahnbescheid. RA reagiert nicht. Mandant beantragt Vollstreckungsbescheid. RA reagiert zu spät. Vollstreckungsbescheid wird erlassen. RA bekommt gerade noch die Kurve.

    Mahngericht übersendet Vollstreckungsunterlagen an das vom Mandanten genannte Amtsgericht C.
    Richterin wird tätig, setzt den Vollstreckungsbescheid vorläufig außer Kraft und fordert vom RA 110 %
    Sicherheitsleistung.

    Gleichzeitig fordert das Amtsgericht C. vom Mandanten, er soll Klage erheben. Mandant kommt Aufforderung nach, erhebt Klage. Klage wird RA zugestellt. Damit wird Klage rechtsanhängig.

    RA moniert erstmals die örtliche Zuständigkeit das Amtsgerichts C. Kündigt an, im Prozess vor dem Amtsgericht C. keine Aussage zu machen. RA begehrt Verweisung an das Amtsgericht B. Verweist auf seinen Briefbogen, wonach im Amtsgerichtsbezirk C lediglich Sprechstunden abgehalten werden.

    Der Briefbogen überzeugt die Richterin und legt dem Kläger nahe, da das Amtsgericht C. nicht zuständig ist, der Verweisung an das Amtsgericht B zuzustimmen usw.

    Frage: kann ein Gericht in dieser Situation überhaupt noch einen anderen Gerichtsstand bestimmen?

    1. Desiree Linsmeier

      Eine vollständige Beantwortung der Frage ist aufgrund der Angaben nicht möglich. Insbesondere lässt sich nicht feststellen, ob das Gericht tatsächlich unzuständig ist. Abstrakt für die Klausur lässt sich jedoch Folgendes feststellen:

      Eine Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nach § 39 S. 1 ZPO liegt nicht vor. Zum einen hat sich der RA vor dem angerufenen Gericht noch nicht eingelassen, zum anderen müsste das Gericht wegen § 504 ZPO den Beklagten ohnehin zunächst auf die Unzuständigkeit hingewiesen haben, um die Rechtsfolge des § 39 S. 1 ZPO herbeiführen zu können.
      Eine Änderung des Gerichtsstands ist somit – den Angaben des SV folgend – möglich. Der Kläger kann sich auf die Änderung des Gerichtsstands einlassen. Stimmt der Kläger der Änderung des Gerichtsstandes nicht zu, kann eine solche Änderung auch durch Urteil herbeigeführt werden.

      Mit freundlichen Grüßen,
      Désirée Linsmeier