Der Missbrauch der Vertretungsmacht

Der Missbrauch der Vertretungsmacht

Der sogenannte Missbrauch der Vertretungsmacht gehört zum Basiswissen im Allgemeinen Teil des Zivilrechts. Im Gegensatz zum Vertreter ohne Vertretungsmacht ist er jedoch nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt, und muss deshalb von Studenten besonders beherrscht werden.
Missbrauch der Vertretungsmacht
Lecturio Redaktion

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22.01.2024

Inhalt

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Missbrauch der Vertretungsmacht vs. falsus procurator

Zunächst einmal darf der Missbrauch der Vertretungsmacht nicht mit dem falsus procurator, also dem Vertreter ohne Vertretungsmacht verwechselt werden. Der falsus procurator handelt im Außenverhältnis (also gegenüber dem Rechtsverkehr) ohne Vertretungsmacht. Damit ist seine Erklärung grundsätzlich nicht geeignet, den Vertretenen gem. § 164 Abs. 1 BGB wirksam zu binden.

Beim Missbrauch der Vertretungsmacht überschreitet der Vertreter seine Befugnisse aus dem Innenverhältnis. Das Innenverhältnis ist das, was zwischen Vertreter und Vertretenem vereinbart wurde, z.B. Auftrag, Geschäftsbesorgung u.ä.

Klar, wird der Unterschied an einem Beispiel:

Variante 1: A beauftragt den B, für ihn das Gemälde „Stillleben“ im Antiquitätenladen des C zu kaufen. Dazu erteilt er ihm Vollmacht: „Bitte gehe für mich in den Laden und kaufe ein Bild.“ B sucht den Laden des C auf, kauft dort jedoch nicht das Gemälde „Stillleben“, sondern das Gemälde „Seeschlacht“, weil er der Meinung ist, dies würde dem A besser gefallen. Als B dem A das Gemälde überreicht, ist dieser sauer, und verlangt von C Rückgabe des Kaufpreises Zug-um-Zug gegen Herausgabe des Gemäldes.

In der ersten Variante handelt der B im Außenverhältnis zu C innerhalb der Vertretungsmacht: er geht in den Laden und kauft ein Bild. Allerdings widersetzt er sich den Abmachungen im Innenverhältnis, indem er nicht das Bild „Stillleben“ kauft. In einem solchen Fall handelt es sich um einen Missbrauch der Vertretungsmacht.

Variante 2: A beauftragt den B, für ihn das Gemälde „Stillleben“ im Antiquitätenladen des C zu kaufen. Dazu ruft er den C, einen guten Freund, an und sagt ihm: „B kommt für mich in deinen Laden, um das Gemälde ‚Stillleben‘ zu kaufen.“ B kauft wiederum das Gemälde „Seeschlacht“. A verlangt von C die Rückgabe des Kaufpreises Zug-um-Zug gegen Herausgabe des Gemäldes.

In der zweiten Variante ist die Vollmacht des B (in Form der Außenvollmacht, § 167 Abs. 1, 2. Alt. BGB) begrenzt auf den Kauf des Gemäldes „Stillleben“. Indem er ein anderes Gemälde kauft, überschreitet er die Grenzen seiner Vollmacht und wird dadurch zum Vertreter ohne Vertretungsmacht.

Die Behandlung des Missbrauchs der Vertretungsmacht

1. Grundsätzliche Auswirkungen

Grundsätzlich steht der Missbrauch der Vertretungsmacht einer wirksamen Stellvertretung nicht entgegen. Dies lässt sich zum einen mit der Abstraktheit der Vollmacht begründen:

  • Die Vollmacht und das zugrundeliegende Rechtsverhältnis sind zwei unabhängige, voneinander zu trennende Rechtsgeschäfte. Dies macht das Gesetz an mehreren Stellen deutlich, z.B. §§ 168 Abs. 2, 171 Abs. 2, 172 Abs. 2 BGB.

Zum anderen darf der Missbrauch der Vertretungsmacht aus Rechtsschutzgesichtspunkten keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Stellvertretung haben:

  • Für den Vertragspartner (hier der C) ist es nicht erkennbar, ob der Vertreter im Innenverhältnis beschränkt ist. Er vertraut auf die bestehende Vollmacht und ist insoweit schützenswert. Schließlich trägt der Vertretene, der sich einer anderen Person zur Vertretung bedient, auch das Risiko dafür, dass sich diese Person an die Vorgaben aus dem Innenverhältnis hält.

Merke: Damit besteht, trotz Missbrauch der Vertretungsmacht, grundsätzlich Vertretungsmacht, sodass eine wirksame Stellvertretung unter den Voraussetzungen des § 164 Abs. 1 BGB möglich ist.

2. Ausnahmen: Kollusion und Evidenz

Wie so oft in der Rechtswissenschaft gibt es keinen Grundsatz ohne Ausnahme. Beim Missbrauch der Vertretungsmacht heißen diese Ausnahmen Kollusion und Evidenz.

a. Kollusion

Definition: Von Kollusion spricht man, wenn der Vertreter und der Dritte bewusst zum Nachteil des Vertretenen zusammenwirken.

In einem solchen Fall ist nicht der Dritte schutzwürdig, sondern der Vertretene. Die Folge ist, dass das abgeschlossene Rechtsgeschäft gem. § 138 Abs. 1 BGB nichtig ist.

b. Evidenz

Definition: Von Evidenz spricht man, wenn der Dritte den Missbrauch der Vertretungsmacht zwar nicht kannte, diesen jedoch hätte erkennen können und müssen.

Vereinfacht könnte man sagen, der Dritte hat seine Augen vor dem Offensichtlichen verschlossen. Im Falle der Evidenz gehen die Ansichten hinsichtlich der Rechtsfolge auseinander.

Der BGH vertritt die Ansicht, dem Vertretenen stehe wegen Rechtsmissbrauch die Einrede der unzulässigen Rechtsausübung aus § 242 BGB zu. Dies bedeutet, das geschlossene Rechtsgeschäft ist grundsätzlich wirksam, dessen Durchsetzbarkeit steht aber eine Einrede entgegen.

Nach Ansicht der Literatur ist § 177 BGB analog anzuwenden. Demnach ist das Rechtsgeschäft schwebend unwirksam und hängt von der nachträglichen Genehmigung des Vertretenen ab. Die Befürworter dieser Ansicht bringen vor, dass es dem Vertretenen möglich sein muss, ein ihm vorteilhaftes Rechtsgeschäft durch Genehmigung an sich ziehen zu können.

Letztlich hat er dieselbe Möglichkeit jedoch auch bei der Lösung des BGH. Schließlich steht es dem Vertretenen frei, ob er die Einrede geltend macht oder nicht. Die Ansichten unterscheiden sich also in ihrer Rechtsfolge nicht so sehr voneinander.

Machen Sie sich noch einmal klar, warum es diese Ausnahmen gibt: Der Vertragspartner ist in den Fällen von Kollusion und Evidenz weniger schutzwürdig, weshalb es unbillig ist, ihm einen wirksamen Vertrag bei Missbrauch der Vertretungsmacht zu gewähren.

Fazit

Der Missbrauch der Vertretungsmacht ist keineswegs unmachbar. Wichtig ist vor allem, die Abgrenzung zum falsus procurator zu verstehen und in einer Klausur zu erkennen, sowie die Behandlung von Kollusion und Evidenz zu beherrschen.

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Simon Veiser

Simon Veiser beschäftigt sich seit 2010 nicht nur theoretisch mit IT Service Management und ITIL, sondern auch als leidenschaftlicher Berater und Trainer. In unterschiedlichsten Projekten definierte, implementierte und optimierte er erfolgreiche IT Service Management Systeme. Dabei unterstützte er das organisatorische Change Management als zentralen Erfolgsfaktor in IT-Projekten. Simon Veiser ist ausgebildeter Trainer (CompTIA CTT+) und absolvierte die Zertifizierungen zum ITIL v3 Expert und ITIL 4 Managing Professional.

Dr. Frank Stummer

Dr. Frank Stummer ist Gründer und CEO der Digital Forensics GmbH und seit vielen Jahren insbesondere im Bereich der forensischen Netzwerkverkehrsanalyse tätig. Er ist Mitgründer mehrerer Unternehmen im Hochtechnologiebereich, u.a. der ipoque GmbH und der Adyton Systems AG, die beide von einem Konzern akquiriert wurden, sowie der Rhebo GmbH, einem Unternehmen für IT-Sicherheit und Netzwerküberwachung im Bereich Industrie 4.0 und IoT. Zuvor arbeitete er als Unternehmensberater für internationale Großkonzerne. Frank Stummer studierte Betriebswirtschaft an der TU Bergakademie Freiberg und promovierte am Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung in Karlsruhe.

Sobair Barak

Sobair Barak hat einen Masterabschluss in Wirtschaftsingenieurwesen absolviert und hat sich anschließend an der Harvard Business School weitergebildet. Heute ist er in einer Management-Position tätig und hat bereits diverse berufliche Auszeichnungen erhalten. Es ist seine persönliche Mission, in seinen Kursen besonders praxisrelevantes Wissen zu vermitteln, welches im täglichen Arbeits- und Geschäftsalltag von Nutzen ist.

Wolfgang A. Erharter

Wolfgang A. Erharter ist Managementtrainer, Organisationsberater, Musiker und Buchautor. Er begleitet seit über 15 Jahren Unternehmen, Führungskräfte und Start-ups. Daneben hält er Vorträge auf Kongressen und Vorlesungen in MBA-Programmen. 2012 ist sein Buch „Kreativität gibt es nicht“ erschienen, in dem er mit gängigen Mythen aufräumt und seine „Logik des Schaffens“ darlegt. Seine Vorträge gestaltet er musikalisch mit seiner Geige.

Holger Wöltje

Holger Wöltje ist Diplom-Ingenieur (BA) für Informationstechnik und mehrfacher Bestseller-Autor. Seit 1996 hat er über 15.800 Anwendern in Seminaren und Work-shops geholfen, die moderne Technik produktiver einzusetzen. Seit 2001 ist Holger Wöltje selbstständiger Berater und Vortragsredner. Er unterstützt die Mitarbeiter von mittelständischen Firmen und Fortune-Global-500- sowie DAX-30-Unternehmen dabei, ihren Arbeitsstil zu optimieren und zeigt Outlook-, OneNote- und SharePoint-Nutzern, wie sie ihre Termine, Aufgaben und E-Mails in den Griff bekommen, alle wichtigen Infos immer elektronisch parat haben, im Team effektiv zusammenarbeiten, mit moderner Technik produktiver arbeiten und mehr Zeit für das Wesentliche gewinnen.

Frank Eilers

Frank Eilers ist Keynote Speaker zu den Zukunftsthemen Digitale Transformation, Künstliche Intelligenz und die Zukunft der Arbeit. Er betreibt seit mehreren Jahren den Podcast „Arbeitsphilosophen“ und übersetzt komplexe Zukunftsthemen für ein breites Publikum. Als ehemaliger Stand-up Comedian bringt Eilers eine ordentliche Portion Humor und Lockerheit mit. 2017 wurde er für seine Arbeit mit dem Coaching Award ausgezeichnet.

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Yasmin Kardi ist zertifizierter Scrum Master, Product Owner und Agile Coach und berät neben ihrer Rolle als Product Owner Teams und das höhere Management zu den Themen agile Methoden, Design Thinking, OKR, Scrum, hybrides Projektmanagement und Change Management.. Zu ihrer Kernkompetenz gehört es u.a. internationale Projekte auszusteuern, die sich vor allem auf Produkt-, Business Model Innovation und dem Aufbau von Sales-Strategien fokussieren.

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Leon Chaudhari ist ein gefragter Marketingexperte, Inhaber mehrerer Unternehmen im Kreativ- und E-Learning-Bereich und Trainer für Marketingagenturen, KMUs und Personal Brands. Er unterstützt seine Kunden vor allem in den Bereichen digitales Marketing, Unternehmensgründung, Kundenakquise, Automatisierung und Chat Bot Programmierung. Seit nun bereits sechs Jahren unterrichtet er online und gründete im Jahr 2017 die „MyTeachingHero“ Akademie.

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Als akkreditierter Trainer für PRINCE2® und weitere international anerkannte Methoden im Projekt- und Portfoliomanagement gibt Andreas Ellenberger seit Jahren sein Methodenwissen mit viel Bezug zur praktischen Umsetzung weiter. In seinen Präsenztrainings geht er konkret auf die Situation der Teilnehmer ein und erarbeitet gemeinsam Lösungsansätze für die eigene Praxis auf Basis der Theorie, um Nachhaltigkeit zu erreichen. Da ihm dies am Herzen liegt, steht er für Telefoncoachings und Prüfungen einzelner Unterlagen bzgl. der Anwendung gern zur Verfügung.

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Wladislaw Jachtchenko ist mehrfach ausgezeichneter Experte, TOP-Speaker in Europa und gefragter Business Coach. Er hält Vorträge, trainiert und coacht seit 2007 Politiker, Führungskräfte und Mitarbeiter namhafter Unternehmen wie Allianz, BMW, Pro7, Westwing, 3M und viele andere – sowohl offline in Präsenztrainings als auch online in seiner Argumentorik Online-Akademie mit bereits über 52.000 Teilnehmern. Er vermittelt seinen Kunden nicht nur Tools professioneller Rhetorik, sondern auch effektive Überzeugungstechniken, Methoden für erfolgreiches Verhandeln, professionelles Konfliktmanagement und Techniken für effektives Leadership.

Alexander Plath

Alexander Plath ist seit über 30 Jahren im Verkauf und Vertrieb aktiv und hat in dieser Zeit alle Stationen vom Verkäufer bis zum Direktor Vertrieb Ausland und Mediensprecher eines multinationalen Unternehmens durchlaufen. Seit mehr als 20 Jahren coacht er Führungskräfte und Verkäufer*innen und ist ein gefragter Trainer und Referent im In- und Ausland, der vor allem mit hoher Praxisnähe, Humor und Begeisterung überzeugt.