Brokdorf-Beschluss – Grundsatzentscheidung des BVerfG zum Versammlungsrecht, Art. 8 GG

Brokdorf-Beschluss – Grundsatzentscheidung des BVerfG zum Versammlungsrecht, Art. 8 GG

Der Brokdorf-Beschluss ist die Grundsatzentscheidung des BVerfG in Sachen Versammlungsrecht. Insbesondere ein Bezug auf die erstmals behandelte Versammlungsfreiheit darf in keiner Klausur, die das Versammlungsrecht zum Gegenstand hat fehlen. Der nachfolgende Artikel umfasst den Sachverhalt des Rechtsstreits sowie die Leitsätze des BVerfG.
Brokdorf-Beschluss
Lecturio Redaktion

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04.01.2024

Inhalt

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I. Sachverhalt (BVerfGE 69, 315)

Nahe der Gemeinde Brokdorf sollte ein Kernkraftwerk errichtet werden. Bereits während 1976 fanden Demonstrationen statt, die partiell einen gewaltsamen Verlauf nahmen. Nach Planung der Bürgerinitiativen vom 14.02.1981 sollte am 28.02.1981 eine Großdemonstration stattfinden, zu deren Beteiligung sie öffentlich aufriefen.
Die Großdemo sollte am 23. 02. 1981 offiziell angemeldet werden. An eben diesem Tag erließ der Landrat des Kreises Steinburg eine Allgemeinverfügung. Die Allgemeinverfügung enthielt das Verbot aller gegen das Kernkraftwerk gerichteten Demos am Baugelände sowie den umliegenden Gebiet während des Zeitraums vom 27.02. – 01.03.1981. Die Verfügung wurde für sofort vollziehbar erklärt.

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Grund für das Demonstrationsverbot sei, dass bisher keine Anmeldung gem. § 14 VersG erfolgt sei. Selbst wenn eine Anmeldung vorgelegen hätte, so hätte die Versammlung untersagt werden müssen, da unfriedliche Aktionen erwartet werden würden. Diese Annahme beruhe auf Zeitungsberichten, Angaben in diversen Flugblättern sowie aus Erfahrungen bei vorangegangenen Demos.
Die Bürgerinitiative legte gegen die Allgemeinverfügung Widerspruch ein. Dieser wurde vom Landrat zunächst nicht beschieden, sondern erst im Sommer zurückgewiesen. Das VG ordnete am 27.02.1981 die teilweise Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs an und besagte, dass das Verbot nicht für das gesamte Gebiet gelte.
Der Landrat wandte sich gegen die Entscheidung des VG und erhob Beschwerde vor dem OVG. Das OVG änderte die Beschlüsse noch in der Nacht zum 28.02.1981 dahingehend ab, dass die Anträge auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung vollumfänglich zurückgewiesen wurden. Grund hierfür sei, dass tatsächlich eine Gefahr bestünde und seitens des Landrats keine Ermessensfehler ersichtlich seien.
Das OVG führt weiter aus, dass es fraglich sei, ob eine nicht angemeldete Versammlung unter dem Schutz des Art 8 GG stehe, denn die versammlungsrechtliche Garantie sei durch die Anmeldepflicht eingeschränkt.
Noch in der Nacht des 28.02.1981 legte der Bürgerverein gegen dieses Urteil Verfassungsbeschwerde ein. Die Entscheidung erging jedoch erst im Mai 1985. Der Antrag auf einstweilige Anordnung blieb erfolglos.
Trotz der Entscheidungen der Gerichte fand am 28.02.1981 eine Demonstration gegen den Bau des Kernkraftwerks satt. An dieser nahmen mehr als 50.000 Bürger, zumeist friedlich, teil.

II. Leitsätze BVerfGE 69, 315 ff

1. Unentbehrliches Funktionselement des demokratischen Gemeinwesens

Das Recht des Bürgers, durch Ausübung der Versammlungsfreiheit aktiv am politischen Meinungsbildungsprozess und Willensbildungsprozess teilzunehmen, gehört zu den unentbehrlichen Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens. Diese grundlegende Bedeutung des Freiheitsrechts ist vom Gesetzgeber beim Erlass grundrechtsbeschränkender Vorschriften sowie bei deren Auslegung und Anwendung durch Behörden und Gerichte zu beachten. (BVerfGE 69, 315)

2. Anmeldepflicht, Auflösung, Verbot

Die Regelung des Versammlungsgesetzes über die Pflicht zur Anmeldung von Veranstaltungen unter freiem Himmel und über die Voraussetzungen für deren Auflösung oder Verbot (§§ 14, 15) genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen, wenn bei ihrer Auslegung und Anwendung berücksichtigt wird, dass
a) die Anmeldepflicht bei Spontandemonstrationen nicht eingreift und ihre Verletzung nicht schematisch zur Auflösung oder zum Verbot berechtigt,
b) Auflösung und Verbot nur zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und nur bei einer unmittelbaren, aus erkennbaren Umständen herleitbaren Gefährdung dieser Rechtsgüter erfolgen dürfen. (BVerfGE 69, 315, 316)

3. Versammlungsfreundliches Verhalten der Behörden

„Die staatlichen Behörden sind gehalten, nach dem Vorbild friedlich verlaufender Großdemonstrationen versammlungsfreundlich zu verfahren und nicht ohne zureichenden Grund hinter bewährten Erfahrungen zurückzubleiben.
Je mehr die Veranstalter ihrerseits zu einseitigen vertrauensbildenden Maßnahmen oder zu einer demonstrationsfreundlichen Kooperation bereit sind, desto höher rückt die Schwelle für behördliches Eingreifen wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit.“ (BVerfGE 69, 315)

4. Garantierter Schutz der Versammlungsfreiheit, Ausschöpfung der Mittel

„Steht nicht zu befürchten, dass eine Demonstration im Ganzen einen unfriedlichen Verlauf nimmt oder dass der Veranstalter und sein Anhang einen solchen Verlauf anstreben oder zumindest billigen, bleibt für die friedlichen Teilnehmer der von der Verfassung jedem Staatsbürger garantierte Schutz der Versammlungsfreiheit auch dann erhalten, wenn mit Ausschreitungen durch Einzelne oder eine Minderheit zu rechnen ist.“ (BVerfGE 69, 315)
In einem solchen Fall setzt ein vorbeugendes Verbot der gesamten Veranstaltung strenge Anforderungen an die Gefahrenprognose sowie die vorherige Ausschöpfung aller sinnvoll anwendbaren Mittel voraus, welche den friedlichen Demonstranten eine Grundrechtsverwirklichung ermöglichen.“ (BVerfGE 69, 315)

5. intensivere Prüfung des Sofortvollzugs eines Demonstrationsverbots

„Die Verwaltungsgerichte haben schon im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes durch eine intensivere Prüfung dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Sofortvollzug eines Demonstrationsverbotes in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung führt.“ (BVerfGE 69, 315)

Quellen

  • Grimm/Kirchhof, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Auflage 1997, S. 46 – 65.

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Simon Veiser

Simon Veiser beschäftigt sich seit 2010 nicht nur theoretisch mit IT Service Management und ITIL, sondern auch als leidenschaftlicher Berater und Trainer. In unterschiedlichsten Projekten definierte, implementierte und optimierte er erfolgreiche IT Service Management Systeme. Dabei unterstützte er das organisatorische Change Management als zentralen Erfolgsfaktor in IT-Projekten. Simon Veiser ist ausgebildeter Trainer (CompTIA CTT+) und absolvierte die Zertifizierungen zum ITIL v3 Expert und ITIL 4 Managing Professional.

Dr. Frank Stummer

Dr. Frank Stummer ist Gründer und CEO der Digital Forensics GmbH und seit vielen Jahren insbesondere im Bereich der forensischen Netzwerkverkehrsanalyse tätig. Er ist Mitgründer mehrerer Unternehmen im Hochtechnologiebereich, u.a. der ipoque GmbH und der Adyton Systems AG, die beide von einem Konzern akquiriert wurden, sowie der Rhebo GmbH, einem Unternehmen für IT-Sicherheit und Netzwerküberwachung im Bereich Industrie 4.0 und IoT. Zuvor arbeitete er als Unternehmensberater für internationale Großkonzerne. Frank Stummer studierte Betriebswirtschaft an der TU Bergakademie Freiberg und promovierte am Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung in Karlsruhe.

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Sobair Barak hat einen Masterabschluss in Wirtschaftsingenieurwesen absolviert und hat sich anschließend an der Harvard Business School weitergebildet. Heute ist er in einer Management-Position tätig und hat bereits diverse berufliche Auszeichnungen erhalten. Es ist seine persönliche Mission, in seinen Kursen besonders praxisrelevantes Wissen zu vermitteln, welches im täglichen Arbeits- und Geschäftsalltag von Nutzen ist.

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Wolfgang A. Erharter ist Managementtrainer, Organisationsberater, Musiker und Buchautor. Er begleitet seit über 15 Jahren Unternehmen, Führungskräfte und Start-ups. Daneben hält er Vorträge auf Kongressen und Vorlesungen in MBA-Programmen. 2012 ist sein Buch „Kreativität gibt es nicht“ erschienen, in dem er mit gängigen Mythen aufräumt und seine „Logik des Schaffens“ darlegt. Seine Vorträge gestaltet er musikalisch mit seiner Geige.

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Holger Wöltje ist Diplom-Ingenieur (BA) für Informationstechnik und mehrfacher Bestseller-Autor. Seit 1996 hat er über 15.800 Anwendern in Seminaren und Work-shops geholfen, die moderne Technik produktiver einzusetzen. Seit 2001 ist Holger Wöltje selbstständiger Berater und Vortragsredner. Er unterstützt die Mitarbeiter von mittelständischen Firmen und Fortune-Global-500- sowie DAX-30-Unternehmen dabei, ihren Arbeitsstil zu optimieren und zeigt Outlook-, OneNote- und SharePoint-Nutzern, wie sie ihre Termine, Aufgaben und E-Mails in den Griff bekommen, alle wichtigen Infos immer elektronisch parat haben, im Team effektiv zusammenarbeiten, mit moderner Technik produktiver arbeiten und mehr Zeit für das Wesentliche gewinnen.

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Frank Eilers ist Keynote Speaker zu den Zukunftsthemen Digitale Transformation, Künstliche Intelligenz und die Zukunft der Arbeit. Er betreibt seit mehreren Jahren den Podcast „Arbeitsphilosophen“ und übersetzt komplexe Zukunftsthemen für ein breites Publikum. Als ehemaliger Stand-up Comedian bringt Eilers eine ordentliche Portion Humor und Lockerheit mit. 2017 wurde er für seine Arbeit mit dem Coaching Award ausgezeichnet.

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Yasmin Kardi ist zertifizierter Scrum Master, Product Owner und Agile Coach und berät neben ihrer Rolle als Product Owner Teams und das höhere Management zu den Themen agile Methoden, Design Thinking, OKR, Scrum, hybrides Projektmanagement und Change Management.. Zu ihrer Kernkompetenz gehört es u.a. internationale Projekte auszusteuern, die sich vor allem auf Produkt-, Business Model Innovation und dem Aufbau von Sales-Strategien fokussieren.

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Leon Chaudhari ist ein gefragter Marketingexperte, Inhaber mehrerer Unternehmen im Kreativ- und E-Learning-Bereich und Trainer für Marketingagenturen, KMUs und Personal Brands. Er unterstützt seine Kunden vor allem in den Bereichen digitales Marketing, Unternehmensgründung, Kundenakquise, Automatisierung und Chat Bot Programmierung. Seit nun bereits sechs Jahren unterrichtet er online und gründete im Jahr 2017 die „MyTeachingHero“ Akademie.

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Als akkreditierter Trainer für PRINCE2® und weitere international anerkannte Methoden im Projekt- und Portfoliomanagement gibt Andreas Ellenberger seit Jahren sein Methodenwissen mit viel Bezug zur praktischen Umsetzung weiter. In seinen Präsenztrainings geht er konkret auf die Situation der Teilnehmer ein und erarbeitet gemeinsam Lösungsansätze für die eigene Praxis auf Basis der Theorie, um Nachhaltigkeit zu erreichen. Da ihm dies am Herzen liegt, steht er für Telefoncoachings und Prüfungen einzelner Unterlagen bzgl. der Anwendung gern zur Verfügung.

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Zach Davis ist studierter Betriebswirt und Experte für Zeitintelligenz und Zukunftsfähigkeit. Als Unternehmens-Coach hat er einen tiefen Einblick in über 80 verschiedene Branchen erhalten. Er wurde 2011 als Vortragsredner des Jahres ausgezeichnet und ist bis heute als Speaker gefragt. Außerdem ist Zach Davis Autor von acht Büchern und Gründer des Trainingsinstituts Peoplebuilding.

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Wladislaw Jachtchenko ist mehrfach ausgezeichneter Experte, TOP-Speaker in Europa und gefragter Business Coach. Er hält Vorträge, trainiert und coacht seit 2007 Politiker, Führungskräfte und Mitarbeiter namhafter Unternehmen wie Allianz, BMW, Pro7, Westwing, 3M und viele andere – sowohl offline in Präsenztrainings als auch online in seiner Argumentorik Online-Akademie mit bereits über 52.000 Teilnehmern. Er vermittelt seinen Kunden nicht nur Tools professioneller Rhetorik, sondern auch effektive Überzeugungstechniken, Methoden für erfolgreiches Verhandeln, professionelles Konfliktmanagement und Techniken für effektives Leadership.

Alexander Plath

Alexander Plath ist seit über 30 Jahren im Verkauf und Vertrieb aktiv und hat in dieser Zeit alle Stationen vom Verkäufer bis zum Direktor Vertrieb Ausland und Mediensprecher eines multinationalen Unternehmens durchlaufen. Seit mehr als 20 Jahren coacht er Führungskräfte und Verkäufer*innen und ist ein gefragter Trainer und Referent im In- und Ausland, der vor allem mit hoher Praxisnähe, Humor und Begeisterung überzeugt.