Seit der Antike beschäftigt der Philosoph Zenon von Elea zahlreiche Denker und Gelehrte mit ausgeklügelten Paradoxen. Das Schlimme daran: Sie widersprechen so offenkundig der allgemeinen Erfahrung und Wahrnehmung, dass viele darüber nur den Kopf schütteln. Doch nach der ersten Verwunderung sollte idealerweise eine hinreichende Begründung folgen. Wir erklären Ihnen, woran Zenon den armen Achilles scheitern ließ.
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Warum eine Schildkröte gegen den schnellsten Mann der Antike gewinnt

Im fünften Jahrhundert vor Christus beschäftigte sich der griechische Philosoph Zenon mit den Phänomenen Bewegung, Raum und Zeit. Wie sich Menschen, Tiere und Gegenstände bewegen können, ist Grundlage des Paradoxes von Achilles und der Schildkröte.

Hier lässt Zenon den schnellsten Läufer der Antike im Wettlauf gegen eine Schildkröte antreten. Damit das Ganze nicht zu unfair wird, soll Achilles der kleinen Schildkröte wenigstens einen Vorsprung von 100 Fuß gewähren. Erst dann darf Achilles starten. Die Schildkröte läuft los und nach einigen Minuten hat sie die Distanz von 100 Fuß überwunden. Nun macht sich Achilles auf, den Sieg zu erringen.

Doch Zenon behauptet, er werde es nicht schaffen, die Schildkröte zu überholen. Achilles startet und bald hat er die 100 Fuß-Marke erreicht. Zu diesem Zeitpunkt ist die Schildkröte aber bereits ganze 10 Fuß weiter gelaufen. Zenon behauptete, dass es Achilles nie gelingen werde, die Schildkröte einzuholen: Immer, wenn dieser an dem Punkt angelangte, an dem die Schildkröte zuvor gewesen sei, hätte die Schildkröte sich schon weiter fortbewegt. Sobald Achilles also den Punkt erreicht, an dem die Schildkröte die weiteren 10 Fuß bewältigt hatte, wäre diese schon wieder an einem anderen Ort und hätte mittlerweile immer noch einen Fuß Vorsprung. Achilles müsste sich also immer erst darum bemühen, die Distanz zur Schildkröte aufzuholen, während diese dann schon wieder weitergelaufen ist.

Der langsame Achilles und die schnelle Schildkröte?

Für den außenstehenden Betrachter erscheint die Situation im wahrsten Sinne des Wortes paradox. Die Erfahrung und die Beobachtung lehrt, dass es Achilles – oder in der heutigen Zeit vielleicht Usain Bolt – selbstverständlich möglich ist, eine Schildkröte zu überholen. Wenn diese auch 100 Fuß Vorsprung hat. Zenon erreichte also in erster Linie eine Verwirrung seiner Zuhörer, denn mathematisch gesehen stand das infrage, was für jeden Beobachter doch eine Selbstverständlichkeit zu sein schien. Wie hatte Zenon das geschafft?

Die unendliche Reihe

achillesZenon ließ Achilles die unendlich vielen Orte einnehmen, an denen die Schildkröte vor ihm angelangte. Wenn Achilles 100 Fuß gelaufen war, lief die Schildkröte in der Zwischenzeit 110 Fuß. Legte Achilles 110 Fuß zurück, so lief die Schildkröte schon 111. Sobald Achilles 111 Fuß schaffte, lag die Schildkröte schon bei 111,1 Fuß und so weiter.

Auch wenn sich die Distanzen verringerten, so schaffte es Achilles dieser Behauptung nach niemals, die Schildkröte einzuholen. Die Distanzen würden immer geringer und tendierten gegen unendlich. Selbst einen Vorsprung von 0,000000001 Fuß musste Achilles demnach erst noch aufholen. Aus heutiger Sicht und mit dem „gesunden Menschenverstand“ erscheint das Beispiel des Zenon auf den ersten Blick möglicherweise skurril. Um den Zeit-Distanz-Unterschied zwischen Achilles und der Schildkröte deutlich werden zu lassen, hätte Zenon über präzise Messapparaturen verfügen müssen. So wäre es ihm möglich gewesen, den genauen Zeitpunkt zu bestimmen, wann Achilles auf einer ebenen Strecke die Schildkröte überholt hätte.

Zenon unterteilte die Überwindung der Distanz zwischen zwei sich bewegenden Körpern daher in immer kleiner werdende Streckenabschnitte – schlussfolgerte jedoch, dass so der Verfolger tatsächlich niemals den Verfolgten einholen könnte.

Bis zur Unendlichkeit und nicht darüber hinaus

Die Verwirrung durch Zenons Beispiel entstand in erster Linie durch die unendlich vielen Beobachtungspunkte und Positionen, die Achilles zuerst erreichen musste, während die Schildkröte sich kontinuierlich fortbewegte. Auf diese Weise wäre es Achilles wohl wirklich beinahe unmöglich gewesen, die Schildkröte einzuholen, geschweige denn zu überholen.

Zum einen wird die räumliche Distanz zwischen Achilles und der Schildkröte immer kleiner. Aber auch der benötigte Zeitaufwand, um die Distanz zu überwinden, verkleinert sich proportional. Zenons geschaffenes Problem resultiert auf der Verlängerung der Bewegungspunkte bis ins Unendliche hinein. Es existierte aber noch kein mathematisches Konzept dafür.

Bekanntermaßen konnte erst zum Ende des 17. Jahrhunderts mit der Infinitesimalrechnung eine mathematisch fundierte Lösung für dieses Problem gefunden werden. Newton und Leibniz näherten sich dem Unendlichen mit formalen mathematischen Herangehensweisen.

Eine andere Sicht der Dinge

Zenon ließ Achilles der Schildkröte einen Vorsprung gewähren. Damit schuf Zenon die Voraussetzungen für sein Paradox: Achilles befand sich in der Situation, den Vorsprung der Schildkröte aufholen zu müssen. Ohne den entsprechenden räumlichen und zeitlichen Vorsprung der Schildkröte wäre das Phänomen der Bewegung und Positionsbeobachtung schwieriger zu vermitteln gewesen.

Zenons Paradox funktioniert unter anderem deshalb, weil er keinen Endpunkt gesetzt hat. Weder in der zu überwindenden Distanz (beispielsweise eine Ziellinie nach 100 Fuß), noch in der zeitlichen Begrenzung (ein gesetztes Ende nach 2 Minuten). Genau dies entsprach der Sichtweise Zenons, der damit zugleich die Behauptung aufstellte, dass sich sowohl Strecke als auch die Zeit in unendlich kleine Einheiten verlängern lassen, die es Achilles unmöglich machen, die Schildkröte einzuholen.

Wird Zenons Paradox aber nicht aus rein mathematischer, sondern aus phänomenologischer Sicht betrachtet, so stellt sich weiterhin die Frage nach dem Beobachter und der Messgenauigkeit, mit der Veränderungen festgestellt werden können. Zenon hat damit ein Beispiel für ein vielschichtiges Beobachtungsproblem entwickelt.

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4 Gedanken zu „Das Paradoxon von Achilles und der Schildkröte – warum die Schildkröte immer gewinnt

  • Peter Schwerstheoretiker

    Die Schildkröte ist halt ein Sportathlete und der Schnellste Läufer der Welt kann sie nicht einholen weil er zu blöd ist um mit der gleichen Geschwindigkeit zu laufen.

  • Der Alleswisser

    „0,8 kg“ macht auch keinen Sinn!

  • Dr. Klaus Kunze

    Hallo,
    „Fuss“ ist eineLängeneinheit, die sich in kleinere Teile unterteilen lässt. Genauso wie m und cm.

  • Mchael Istvancsek

    Hallo,
    ich möchte Sie auf einen – gängigen – Denkfehler aufmerksam machen. Wenn Sie die Längeneinheit „Fuß“ wählen, dann können Sie damit keine Teile vom „Fuß“ messen. Die Schreibweise
    0,000000001 Fuß ist sinnlos.
    Mit freundlichen Grüßen
    Michael Istvancsek