Inhaltsverzeichnis

Photo by Piron Guillaume on Unsplash
Aktuelle Situation in Deutschland
Während die Medienberichterstattung den Anschein erweckt, die Zahl ärztlicher Behandlungsfehler nehme kontinuierlich zu, konnte nach Statistiken des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen im letzten Jahr ein Rückgang der Behandlungsfehler im Vergleich zu den Vorjahreszahlen beobachtet werden.
Insgesamt verzeichnete der MDK im 2013 ca. 14.585 Vorwürfe von Behandlungsfehlern, von denen nach Sachverständigenprüfung 3687 (~ 25 %) als solche anerkannt wurden. Im Vergleich zum Vorjahr nahm damit die Zahl gemeldeter Fälle um 17 % zu, während die Gesamtzahl bestätigter Fehler um 7 % sank (Angaben des MDK).
Bezogen auf den stationären Sektor kam es bei 1 % (insg. 2525) der insgesamt 18,78 Mio. vollstationär behandelten Patienten (Angaben des statistischen Bundesamtes) zu einem bestätigten Behandlungsfehler. Kritiker vermuten jedoch, dass die Dunkelziffer beträchtlich höher sei.
Was gilt als Behandlungsfehler?
Aus formaljuristischer Sicht liegt ein Behandlungsfehler dann vor, wenn
- ein nachweisliches Fehlverhalten des Arztes zu
- einem Schaden des Patienten geführt hat,
- der ursächlich auf das Fehlverhalten des Arztes zurückzuführen ist (Kausalitätsprinzip)
Beweislast
Grundsätzlich wird bei Behandlungsfehlern zwischen einfachen und groben Behandlungsfehlern unterschieden.
Bei einfachen Behandlungsfehlern liegt die Beweislast auf Seiten des Patienten, d.h. der Patient muss nachweisen, dass der Behandlungsfehler zu dem eingetretenen Schaden geführt hat.
Bei groben Behandlungsfehlern kommt es hingegen zur Beweislastumkehr. Nunmehr ist der Arzt derjenige, der nachhalten muss, dass zwischen dem ihm vorgeworfenen Fehler und dem eingetretenen Schaden kein Zusammenhang besteht. Als grober Behandlungsfehler gilt nach einem Urteil des BGH (VI ZR172/95) ein Fehlverhalten des Arztes, das „eindeutig gegen bewahrte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstößt“ und „aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint“.
Arten von Behandlungsfehlern
Zur Kategorisierung des Behandlungsfehlers gibt es im juristischen Sprachgebrauch verschiedene Begriffe, die sich an den unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen ärztlichen Handelns orientieren.
Therapiefehler
Therapiefehler sind fehlerhafte Behandlungen im eigentlichen Sinne, wobei als Bewertungsmaßstab medizinischer Gutachten der jeweils gültige Facharztstandard herangezogen wird. Als Facharztstandard gilt die zum Behandlungszeitpunkt aktuelle wissenschaftliche Datenlage zu Art und Umfang der Therapie. Leitlinien der jeweiligen Fachgesellschaften können dabei eine Orientierungshilfe für den behandelnden Arzt sein, haben aus Sachverständigensicht jedoch nur einen Empfehlungscharakter, da sie hinsichtlich Qualität und Aktualität der Erkenntnisse sehr unterschiedlich sind. Zudem kann in Einzelfällen ein Abweichen von Leitlinienempfehlungen durchaus sinnvoll sein.
Ein in Weiterbildung befindlicher Assistenzarzt kann diesen ebenso gewährleisten, wenn er den dazu nötigen Ausbildungs- und Kenntnisstand besitzt. Andernfalls ist die Aufsicht eines qualifizierten Arztes (z.B. Anfängeroperation, Anfängernarkose) erforderlich. Entsprechend ist die Delegation eines Eingriffes an einen dafür nicht qualifizierten Assistenzarzt ein Behandlungsfehler, für den im Falle eines Schadens der für die Ausbildung verantwortliche Chefarzt und der Krankenhausträger (Organisationsverschulden), sowie der ausführende Arzt (Übernahmeverschulden) haftbar gemacht werden kann.
Ob ein Therapiefehler im Sinne eines einfachen oder groben Behandlungsfehlers zu deuten ist, bemisst sich daran, wie weit sich der Arzt in seinem Handeln vom Facharztstandard entfernt hat. Die Beurteilung hierüber obliegt dem seitens des Gerichtes bestellten Sachgutachters.
Diagnosefehler
Deutet ein Arzt die diagnostisch erhobenen Befunde (z.B. klinische Zeichen, Laborbefunde, Röntgenbilder) falsch, begeht er einen Diagnosefehler. Dies gilt sowohl für die auf die diagnostische Fragestellung bezogenen Befunde, als auch für (zufällige) Nebenbefunde. Aus Sicht der Gerichte stellen Diagnosefehler in vergleichsweise wenigen Fällen Behandlungsfehler dar, da klinische Zeichen und objektivierbare Messdaten (z.B. Laborparameter) patienten- oder methodenspezifisch sehr stark variieren können und nicht immer eindeutig sind. Anders sieht es hingegen bei klinisch offensichtlichen Befunden aus, deren Nichterkennung als grober Behandlungsfehler gewertet werden kann (z.B. Nichterkennen eines Peritonismus bei Akutem Abdomen).
Befunderhebungsfehler
Befunderhebungsfehler stellen im Gegensatz zu Diagnosefehlern die Unterlassung einer zu Diagnosezwecken nötigen Befunderhebung dar, die zu einer Verzögerung der Diagnose oder einem Nichterkennen der Erkrankung mit Ausbleiben der gebotenen Maßnahmen führt.
Befunderhebungsfehler können aus Sicht der Gerichte als grober Behandlungsfehler ausgelegt werden, wenn in einem fiktiven Szenario
- die Durchführung der diagnostischen Maßnahme mit einer Wahrscheinlichkeit > 50 % zu einem schwerwiegenden behandlungsbedürftigen Befund geführt hätte,
- dessen Nichtbehandlung aus Sachverständigensicht als grober Behandlungsfehler (Kriterien s.o.) einzustufen ist.
Diagnoseirrtum
Kommt ein Patient aufgrund einer medizinischen Behandlung zu schaden, die aufgrund einer fehlerhaften Diagnose vorgenommen wird, so kann der Arzt dafür haftbar gemacht werden.
Verletzung der Sicherheitsaufklärung
Auch die Nichtaufklärung über Arzneimittelnebenwirkungen (etwa die mögliche Beeinträchtigung der Teilnahme am Straßenverkehr durch verschiedene Antiallergika oder Sedativa), sowie das Unterbleiben von Handlungs- und Verhaltensweisen nach Operationen gelten als Behandlungsfehler.
Aufklärungsfehler
Abzugrenzen von Behandlungsfehlern sind Aufklärungsfehler. Invasive therapeutische und/oder diagnostische Eingriffe in den menschlichen Körper stellen im juristischen Sinne eine Körperverletzung dar, in die der Patient im Falle eines elektiven Eingriffs zuvor einwilligen muss (Selbstbestimmungsaufklärung). Hierbei können dem Arzt mehrere Fehler unterlaufen.
Nichtaufklärung des Patienten
Auf eine Aufklärung kann nur dann verzichtet werden, wenn der Patient nicht einwilligungsfähig ist und eine akute vitale Bedrohung besteht, die nur durch eine sofortige invasive Therapie abgewendet werden kann. In diesem Falle wird vorausgesetzt, dass der mutmaßliche Patientenwille der Einwilligung in den Eingriff entspricht.
Nichtbeachtung des Patientenwillens
Unabhängig von der eigenen Weltanschauung hat der Arzt das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu achten. Dies beinhaltet, dass er die Nichteinwilligung eines Patienten in eine Behandlung anerkennen muss, auch wenn sie seinem eigenen Ethos widerspricht.
Zeitliche Unangemessenheit der Aufklärung
Bei elektiven operativen Eingriffen muss der Arzt dem Patienten eine angemessene Bedenkzeit von mindestens 24 h einräumen. Tut er dies nicht, kann die Aufklärung im Falle eines eingetretenen Risikos/Folgeschadens im Nachhinein als nicht rechtswirksam angefochten werden.
Inhaltlich unvollständige Aufklärung
Inhaltlich muss der Arzt dem Patienten eine Allgemeine Vorstellung von der Art, den Risiken und der Tragweite des Eingriffs vermitteln. Dies betrifft den Eingriff selbst, sowie mögliche postinterventionelle Folgezustände (auch Schmerzzustände) und Komplikationen.
Für die Ausgestaltung des Aufklärungsgesprächs gilt, dass spezifische Komplikationen aufgrund der Vielzahl möglicher Ausprägungen und Auspägungsgrade nicht einzeln benannt werden müssen, sofern die Art und Schwere der Komplikation für den Patienten ersichtlich wird. So ist ein Patient vor einem Bauchhöhleneingriff über mögliche Gefäßverletzungen mit schwerwiegenden und ggf. transfusionsbedürftigen Blutungen zu unterrichten, jedoch nicht über die möglichen in Frage kommenden Gefäße selbst (z.B. Blutung aus der Arteria hepatica).
Aufklärung eines nicht einwilligungsfähigen Patienten
Die Aufklärung eines Patienten setzt dessen Einwilligungsfähigkeit voraus. Minderjährigen < 14 Jahre sind daher in Anwesenheit der Eltern aufzuklären. Bei älteren Minderjährigen (14-18 Jahre) kann in Abhängigkeit ihres Reifegrades auf die Einwilligung der Eltern verzichtet werden (Einzelfallentscheidung).
Bei Patienten, die aufgrund ihres gesundheitlichen Zustandes nicht einwilligungsfähig sind (Demenzerkrankte, Sedierte/beatmete Patienten auf Intensivstationen, psychisch kranke Patienten), ist die vom Patienten betreuungsbevollmächtigte Person- oder der gesetzlich bestimmte Betreuer (sofern keine Betreuungsvollmacht vorliegt) über den Eingriff aufzuklären.
Aufklärung bei Verständigungsschwierigkeiten
Im Rahmen der Aufklärung muss sich der Arzt dessen vergewissern, dass der Patient seine Ausführungen verstanden hat. Bei bestehenden Sprachbarrieren muss er im Zweifelsfall einen Dolmetscher hinzuziehen. Andernfalls ist die Aufklärung nicht rechtswirksam.
Juristische Konsequenzen
Ärztliche Behandlungsfehler haben zumeist zivilrechtliche Folgen. Aus einer fehlerhaften Behandlung lassen sich Schmerzensgeld und Schadensersatzforderungen seitens des Geschädigten ableiten. Nachweisliche Fahrlässigkeit (Fahrlässige Körperverletzung, fahrlässige Tötung) und rechtswidrige Einwilligungen aufgrund fehlender oder unzureichender Aufklärung (Körperverletzung) können darüber hinaus strafrechtliche Konsequenzen haben.
Schreiben Sie einen Kommentar